Das Europäische Zentrum für jüdische Musik in Hannover rekonstruiert jüdische Tonkunst – bald in einer eigenen Villa
(Jüdische Allgemeine vom 26. Juni 2008)
Ein Gemälde im Büro Andor Izsáks, dem Direktor des Europäischen Zentrums für jüdische Musik in Hannover (EZJM), zeigt die ehemalige Synagoge auf dem hannoverschen Klagesmarkt. Am 9. November 1938 wurde sie von Nazis in Brand gesetzt. Auf dem Foto daneben, Teil eines jüdischen Kalenderblatts, ist die prachtvolle Orgel in der großen Dohány Synagoge von Budapest zu sehen. „Das ist so etwas wie mein persönlicher Kompass“, sagt Izsák: „Als das Gebäude in Hannover abbrannte, zerstörte man auch die Tradition der synagogalen Musik in Europa. Die Synagoge und ihre Orgel in Budapest jedoch blieben erhalten“. Dort entdeckte er als Jugendlicher seine große Leidenschaft für dieses musikalische Genre.
Ein gleichberechtigter Platz für die jüdische Musik
Inzwischen ist Izsák Inhaber des Lehrstuhls für synagogale Musik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. 1990 gegründet, wurde das EZJM nach dreijähriger Projektphase zu einem ordentlichen Institut der Lehranstalt. Die Etablierung war dem Hochschullehrer wichtig: Den großen jüdischen Komponisten geistlicher Musik, wie etwa Louis Lewandowski (1821 – 1894), gebühre ein gleichberechtigter Rang neben den bekannten klassischen Künstlern, sagt er. Wichtig war seinen Mitstreitern und ihm auch die Ansiedlung des Zentrums in Deutschland: „Die Zerstörung dieser Musik kam aus Deutschland und in Deutschland sollte ihre Rekonstruierung stattfinden“, erklärt Izsák.
Ein neues Zentrum für synagogale Musik
Aufgabe des Institut neben der Lehre ist es, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, zu recherchieren und erforschen, die Kompositionen zu retten und die Musik auf Tonträgern und im Konzert hörbar zu machen. Bisher wurde sie mit renommierten Chören zumeist in Kirchen aufgeführt. Dadurch sei der Fanclub schon sehr groß geworden, schwärmt Izsák. Im November dieses Jahres gibt er zusammen mit dem NDR-Chor ein Konzert in der Berliner Philharmonie.
Am Neunten des gleichen Monats wird das EZJM in ein altes jüdischen Bürgerhaus einziehen: die Villa Seligmann. Der Termin ist Izsák wichtig: „Auf den Tag 70 Jahre nach ihrer Zerstörung wird der neue Ort für die synagogale Musik seinen Geburtstag haben.“ Seit Mai befindet sich das Haus im Besitz der Siegmund Seligmann Stiftung, die es von der Stadt Hannover für zwei Millionen Euro gekauft hat. Vorsitzender der Kuratoriums ist der niedersächsische Ministerpräsidenten Christian Wulff. Möglich gemacht haben den Kauf etliche Unterstützer und Sponsoren, denen die Bewahrung der jüdischen Musik am Herzen liegt.
Oft heftig umstritten – die Orgel in der Synagoge
Ihre große Zeit hatte diese Kunst im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1810 führte der Pädagoge Israel Jacobson in der Synagoge einer jüdischen Schule des Harzstädtchens Seesen erstmals die Orgel ein. Zwischen den jüdischen Gemeinden war diese Reform heftig umstritten, gewann jedoch immer mehr Anhänger. So konnte eine von Solo- und Chorgesang sowie einer kraftvollen Orgelbegleitung getragene Musik entstehen, die von den Traditionen der europäischen Orgelkompositionen und dem geistlichen jüdischen Gesang gleichermaßen beeinflusst war. Für Izsák ist diese Musik zur Quelle seiner persönlichen Vision von ihrer Neubelebung geworden.
Erfüllung eines Lebenstraums
1944 im jüdischen Ghetto von Budapest in einem orthodoxen Elternhaus geboren, hing sein Leben zunächst am seidenen Faden. Eine Bombenexplosion in unmittelbarer Nähe verletzte Gehör und Augen; die musikalische Begabung blieb ihm jedoch erhalten. Fasziniert hörte er als Kind das erste Mal in einem Film die Klänge einer Orgel. So etwas gab es in dem Gotteshaus seiner orthodoxen Gemeinde nicht, wohl aber in der großen Budapester Synagoge. Im 13. Lebensjahr, nach seiner Bar Mitzwa, wagte Izsák den Eltern zu gestehen: „Da will ich hin“. „Dass war für sie wohl fast so schlimm wie ein Trauerfall“, erzählt er. Andor Izsák allerdings ist hartnäckig. Der talentierte Junge hat die große Synagoge nicht nur besuchen, sondern bald auch selbst an der Orgel Platz nehmen und spielen dürfen.
Mit dem Erwerb der Villa Seligmann erfüllt sich für Andor Izsák ein Lebenstraum: Die 1938 zerstörte synagogale Musik bekommt eine neue Heimat. Bereits der Erbauer des Hauses, Siegmund Seligmann (1853 – 1925), seinerzeit Geschäftsführer der Firma Continental in Hannover und einflussreiches Mitglied des jüdischen Bürgertums, holte zu Lebzeiten namhafte Künstler der synagogalen Musik in seine Villa. In der Atmosphäre des großbürgerlichen Judentums des späten 19. Jahrhunderts soll sie nun erneut erklingen und auf den Orgeln aus den Synagogen, die Izsák in einer persönlichen Sammlung zusammen getragen hat, begleitet werden.
Ein lebendiger Ort für die Wiederbelebung synagogaler Musik
Seine Aufgabe sei musikalischer, nicht religiöser Natur, sagt der gläubige Jude Andor Izsák, für den der Gang in die Synagoge am Sabbat selbstverständlich ist. Aber vielleicht gingen von der Villa ja neue Impulse für das liturgische Leben aus: „Es kann nur dann eine neue synagogale Musikkultur entstehen, wenn ihre Wurzeln bekannt sind“, davon ist Izsák überzeugt. In diesem Sinne solle die Villa Seligmann ein lebendiger Ort sein, sagt er.
Bereits am kommenden Freitag den 27. Juni wird ein Symposium zum Thema „Jüdische Musik in Europa: Brücke im Dialog der Kulturen“ den Garten der Villa mit Leben füllen. Unter den Rednern: Ministerpräsident Christian Wulff sowie der Präsident des Europäischen Palarments, Hans-Gert Pöttering. Im Gebäude selbst hat inzwischen die Restaurierung begonnen. „Das wird noch einmal teuer“, sagt Izsák und hofft, weitere potenzielle Sponsoren für seine Vision begeistern zu können.
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