Armenien, verraten und verkauft!

Vor etwas mehr als einem Jahr, am 19. September 2023, überrannten aserbeidschanische Streitkräfte die armenische Enklave Berg-Karabach. Hunderttausende Armenier wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Karabach ist war seit Jahrtausenden von Armeniern besiedelt, völkerrechtlich gehört das Gebiet heute zu Aserbeidschan.

Die Verteidigungskräfte der international nicht anerkannten armenischen Republik Arzach in Berg-Karabach waren den von der Türkei hochgerüsteten Aserbeidschanern hoffnungslos unterlegen. Sie mussten bereits nach wenigen Tagen die Waffen strecken, um ein größeres Massaker zu verhindern. Fast die komplette Bevölkerung floh in das armenische Mutterland.

Keine Lobby

Wieder mussten die Armenier zur Kenntnis nehmen, dass sie keine Lobby auf dem internationalen Parkett haben. Das wurde bereits in den Jahren 1915 und 1916 schmerzhaft deutlich, als die durch einen Militärputsch an die Regierung im damaligen Osmanischen Reich gelangten Jungtürken unter Enver Pascha, Cemal Pascha und Talàt Pascha über eine Millionen Armenier systematisch entrechteten, aus ihren Städten und Dörfern in die syrische Wüste trieben und dort verhungern ließen. Damals tobte der 1. Weltkrieg. Das Osmanische Reich stand auf Seiten der Achsenmächte und der Massenmord spielte sich unter den Augen deutscher Militärvertreter ab. Sie ließen die Mörder gewähren. Bis heute leugnen sowohl die türkischen Machthaber als auch weite Teile der türkischen Gesellschaft diesen Genozid.

Karabach – historisch ein Teil Armeniens

Die armenische Enklave Karabach war historisch ein Teil Armeniens. Im Jahr 1921 gliederten die damals neuen sowjetischen Machthaber das Gebiet der Sowjetrepublik Aserbeidschan an. Vergeblich haben die Armenier schon zu Sowjetzeiten versucht, die Entscheidung rückgängig zu machen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde die völkerrechtliche Zugehörigkeit der Region zu Aserbeidschan international anerkannt. Mit russischer Hilfe konnten die Armenier seinerzeit die armenische Präsenz in Karabach sichern und gründeten die armenische Republik Arzach in Berg-Karabach. Eine Anerkennung auf internationalem Parkett blieb jedoch aus.

„Schleichender Völkermord“

Aserbeidschan gab seine Ansprüche auf Karabach nicht auf. Seit 2020 hat sich der aserbeidschanische Belagerungsring immer enger zusammengezogen. Ende 2022 blockierten die Aserbeidschaner die einzige Verbindung zwischen Karabach und Armenien und begannen mit einer Strategie des Aushungerns. Medikamente, Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter konnten die Enklave nicht mehr erreichen. Aserbeidschan betreibe hier einen schleichenden Völkermord, urteilte seinerzeit der ehemalige Chefankläger des internationalen Strafgerichtshof, Luis Moreno Ocampo.

Karabach interessierte nicht die Bohne

Gab es irgendwelche nennenswerten Reaktionen der internationalen Gemeinschaft? Forderte der Westen eine OSZE-Mission zum Schutz der bedrohten Armenier in Karabach? Wurde gar mit dem Eingreifen der NATO gegen Aserbeidschan gedroht, sollte das Land seine Politik der Blockade und seine Drohung einer ethnischen Vertreibung der Armenier nicht umgehend beenden? So, wie es etwa im Jahr 1999 zum Schutz der vermeintlich von den Serben bedrohten Albaner in Kosovo, welches völkerrechtlich Teil Serbiens war, geschah? Nichts von alledem passierte! Der noch im Jahr 1999 so sehr um die mehrheitlich muslimischen Albaner besorgte Westen hat sich für das Schicksal der christlichen Armenier in Karabach nicht die Bohne interessiert. Und auch die angebliche Schutzmacht der Armenier in Karabach, Russland, ließ die Aserbeidschaner gewähren. Weder der scheinbar um keine humanitäre Mission verlegene Westen, wenn es um die Bewahrung der Menschenrechte geht, noch Putins Russen rührten einen Finger. Europäer, US-Amerikaner und Russen, sie alle haben die Armenier verraten und verkauft. Der armenische Bischof Tiran Petrosyan spricht gar davon, dass die Russen Aserbeidschans Aggression unterstützt hätten: „Die russischen Truppen haben sogar die Straßen gesperrt, damit keine Hilfe nach Berg-Karabach durchkommt“, gab er der katholischen Tagespost zu Protokoll (Bischof: Armenien wurde von Moskau verraten. Die Tagespost vom 24.07.2024).

Doppelmoral in Sachen Menschenrechte

Bereits im Jahr 2020 hatte der bewaffnete Konflikt im sogenannten 44-Tage-Krieg zwischen Armenien und Berg-Karabach auf der einen, und Aserbeidschan auf der anderen Seite zur Eroberung großer Gebiete Karabachs durch aserbeidschanische Einheiten geführt. Eine russische Friedensmission entlang der Demarkationslinien sollte den Waffenstilstand und, so hofften es die Armenier in Karabach zumindest, die den russischen Versprechungen Glauben schenkten, die armenische Präsenz in Berg-Karabach sichern. Die Russen haben ihr Versprechen gebrochen. Statt Karabach und die Republik Arzach zu verteidigen, haben sie nur noch die Kapitulation der Armenier an die aserbeidschanische Seite übermittelt. Sie haben Berg-Karabach verkauft. Seit Beginn des Ukraine-Krieges sind rohstoffreiche Fürsprecher, wie Aserbeidschan und dessen Schutzmacht, NATO-Mitglied Türkei, wichtiger als einmal gegebene Zusagen. Da sehe man, was die Versprechen der Russen wert seien, haben einige Beobachter im Westen geunkt. Doch hier sollte man den Mund nicht zu weit aufreißen. Mit der Weigerung, entschieden gegen die ethnischen Vertreibungen in Karabach und die Vernichtung eines 2000jährigen kulturellen Erbes in der Region vorzugehen, haben NATO und EU einmal mehr ihre Doppelmoral in Menschenrechtsfragen demonstriert. Seit ihrer Aufnahme in den Europarat im Jahr 2001 ist es den Aserbeidschanern unter ihrem Autokrator Ilham Alijew außerdem gelungen, ein korruptes Netzwerk europäischer, nicht zuletzt auch deutscher, Politiker aufzubauen, die sich als bedeutende Vertreter aserbeidschanischer Interessen in der EU erwiesen haben.

Der Massenmörder als Vorbild

In der Türkei und Aserbeidschan ist man indessen stolz, dem Genozid an den Armeniern aus dem Jahren 1915/1916 ein weiteres Vertreibungskapitel hinzugefügt zu haben. Die Hauptstraße von Stepanakert, der einstigen Hauptstadt von Berg-Karbachs Republik Arzach, wurde nun nach dem Massenmörder Enver Pascha benannt, einem der Hauptverantwortlichen für den Genozid an den Armeniern während des ersten Weltkrieges durch die jungtürkische Putschregierung. Und so tanzen Erdogan und Alijew auf den Straßen Karabachs jetzt gemeinsam den Genozid.

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