Pflegekammern gegen Pflege-Krise

(pflegen-online , Ausgabe 04/2009 – Nr. 111)
Die Fachverbände der Kranken- und Altenpflege fordern seit Langem die Einrichtung einer Pflegekammer. Was ist davon zu erwarten? Mehr Bürokratie und Kontrolle oder eine Verbesserung der Pflege?
Im Oktober dieses Jahres hat der Kieler Rechtsgelehrte Gerhard Igl sein neuestes Gutachten zum Thema Pflegekammern vorgestellt. Darin vertritt er die Auffassung, dass eine Kluft zwischen der tatsächlichen Stellung der Pflegeberufe im Gesundheitswesen und ihrer öffentlich-rechtlichen Position herrsche. Dieses Missverhältnis sollte durch die Gründung von Pflegekammern beseitigt werden, sagt Igl. Auftraggeber des Gutachtens ist der Deutsche Pfle-geverband (DPV). Für dessen Geschäftsführer Rolf Höfert stellt die Expertise denn auch ein Signal an alle Bedenkenträger dar, endlich einzulenken und den Weg für die Pflegekammern freizumachen.

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Die Forderung nach Einrichtung von Pflegekammern steht bereits seit 20 Jahren auf der politischen Agenda: 1990 wurde in München der erste Förderkreis gegründet. In den folgenden Jahren etablierten sich in vielen anderen Bundesländern ähnliche Initiativen und 1995 hoben die Aktivisten eine Nationale Konferenz zur Gründung einer Pflegekammer aus der Taufe. An vorderster Stelle engagieren sich dabei insbesondere Repräsentanten des Deutschen Pflegerates (DPR), des Deutschen Pflegeverbandes (DPV) und anderer Interessenverbände für die sogenannte Verkammerung ihres Berufsstandes. Von der Kammerbildung verspricht man sich einen größeren Einfluss der eigenen berufspolitischen Positionen. Damit soll die berufliche Autonomie der Pflegeberufe gefördert und eine einheitliche Qualitätskontrolle von Pflegeleistungen ermöglicht werden. Darüber hinaus, so die Hoffnung, könne damit die weitere Professionalisierung und Verselbstständigung der Pflegeberufe gegenüber anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen vorangetrieben werden. Die Hoffnung wird wohl nicht zuletzt von dem Wunsch genährt, sich als eigenständige Disziplin gegenüber den Ärzten stärker zu profilieren.

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Das Kammerwesen ist Ländersache. Kammern sind sogenannte Körperschaften des öffentlichen Rechts, Organisationen also, denen der Staat – in diesem Fall die Bundesländer – per Gesetz bestimmte hoheitliche Aufgaben überträgt. In ihnen sollen Betroffene gesellschaftlich bedeutende Angelegenheiten in Selbstverwaltung regeln. Mit ihren Forderungen nach einer Pflegekammer orientieren sich die Pflegeverbände an den Ärztekammern. Diese sind beispielsweise für die Überwachung der Berufsausübung ihrer Mitglieder, die Organisation von Fortbildungen, die Festlegung von Qualitätsstandards der ärztlichen Versorgung, die Abnahme von Prüfungen und insgesamt für die Interessenvertretung der Ärzteschaft verantwortlich. Es gilt die Pflichtmitgliedschaft für alle Angehörigen der Berufsgruppe.

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Durch den öffentlich-rechtlichen Status könnten die Vertreter der Pflegelobby zukünftig entscheidend an Gesetzgebungsverfahren und an der Regelung von Konflikten zwischen Pfle-genden und anderen Interessengruppen, wie etwa der Ärzteschaft, mitwirken. In der Tat würde die Pflegekammer einen erheblichen Machtzuwachs ihrer Repräsentanten mit sich bringen. Den in der Nationalen Konferenz zur Gründung einer Pflegekammer engagierten Pflegeaktivisten geht es nach eigener Aussage jedoch nicht vordergründig um die eigenen Interessen, sondern um das Allgemeinwohl: Die Hauptaufgabe einer zukünftigen Pflege-kammer sei es, „zum Wohle der Allgemeinheit die Bürgerinnen und Bürger vor gesundheitli-chen Nachteilen und Schäden durch unsachgemäße Pflege zu schützen“, schreiben sie auf ihrer Website. Dazu bedürfe es der „Implementierung und Durchsetzung einer für alle Angehörigen der Pflegeberufe gültigen Berufsethik“. Und das lässt sich ihrer Auffassung nach am besten durch die Gründung einer Pflegekammer realisieren. Denn diese kann ihren Mitgliedern die Ausübung oder das Unterlassen bestimmter Handlungen verordnen und die Nichtbefolgung sanktionieren. Und da man aus der Kammer nicht austreten kann, sind sol-che Vorgaben allgemeinverbindlich. Bei Renitenz droht schlimmstenfalls Berufsverbot. Ge-rade in dieser Verbindlichkeit von Beschlüssen für alle beruflich Pflegenden sehen die Be-fürworter ein Plus. Das bringe Sicherheit für die Bevölkerung. Nicht zuletzt habe die Politik damit einen zentralen Ansprechpartner.

Die politische Verantwortlichen in den Bundesländern konnten sich bisher jedoch kaum mit dem Gedanken an eine Pflegekammer anfreunden. Der studierte Mediziner und neue Bun-desgesundheitsminister Philipp Rösler beispielsweise gilt noch aus seiner Zeit als FDP-Fraktionsvorsitzender im niedersächsischen Landtag als Gegner von Pflegekammern. Auch in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist man von der Idee einer Pflegekammer nicht be-geistert. Der organisatorische und finanzielle Aufwand für deren Einrichtung stehe in keinem vernünftigen Verhältnis zu seinem Nutzen, haben die Gewerkschafter in einem Positionspa-pier aus dem Jahr 2005 zu Protokoll gegeben. Für die Umsetzung der von den Pflegever-bänden propagierten Aufgaben bedürfe es keiner Pflegekammer. ver.di wirft den Pflegever-bänden eine Stellvertretermentalität vor. Die Interessen der Bürger würden in einem demo-kratischen Staat durch gewählte demokratische Organe gewährleistet, nicht durch Kammern. Die ver.di-Funktionäre betrachten das Engagement für eine Pflegekammer wohl nicht zuletzt als Wildern im eigenen Revier. Schließlich sind Interessenvertretung und Formulierung be-rufspolitischer Forderungen ureigene gewerkschaftliche Kompetenzen. Und die Gruppe der abhängig beschäftigten Pflegenden bildet einen hohen Anteil unter den ver.di-Mitgliedern.

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Aber auch aus den Reihen der in der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. (DGVP) organisierten Patientenvertreter sind Zweifel hörbar. Begrüßenswert sei zwar, dass die Institutionen zukünftig mit einer Stimme sprächen, doch sähe man dieses Ziel lieber auf anderem Wege verwirklicht. Zitat: „Die in sich selbst ruhenden und mit sich selbst beschäftigten Kammern als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind bewiesenermaßen häu-fig Bremser von konstruktiven Entwicklungen und Verursacher von Bürokratie.“
Als Vorsichtsmaßnahme gegen Bürokratisierung und als kleines Bonbon für die Patienten-vertreter schlägt Pflegeaktivistin Monika Skibicki die Einrichtung von Kontrollinstanzen vor. Dem Geschäftsführer könne ein ständiger Beirat zur Seite gestellt werden, „der sich aus Pa-tienten- und Angehörigenvertretern sowie Vertretern anderer Gesundheits- und Heilberufe zusammensetzt“. Mit den Pflegekammer gäbe es endlich eine allgemeine und demokratisch legitimierte Interessenvertretung aller Berufsangehörigen.

Doch gerade die Frage nach der Legitimität ist umstritten. wollen die beruflich Pflegenden überhaupt eine Kammer? Der Bremer Jurist Lutz Barth, der sich in seinem Internetportal IQB – Das Portal zum Medizin- und Pflegerecht kritisch mit dem Thema Pflegekammer auseinan-dersetzt, wirft den Verbänden Geheimniskrämerei vor. So weigere sich der Deutsche Pflege-rat beharrlich, Zahlen über seinen Organisationsgrad offenzulegen. Für ihn werde zuneh-mend klarer, dass der DPR darum wisse, eben nicht die Mehrheit der beruflich Tätigen hinter sich zu haben, meint Barth.
Kritiker werfen den Verbänden daher vor, dass sie eher für sich als für die beruflich Pflegenden sprächen. Auch seien Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Pflegekammer ange-bracht. So wird darauf hingewiesen, dass die Verkammerung der Pflege notwendigerweise eine Pflichtmitgliedschaft für die professionell Pflegenden mit sich bringt. Hier wird insbeson-dere das Recht auf Vereinigungsfreiheit berührt, ordnet der Staat per Gesetz eine Vereini-gung doch quasi zwangsweise an.

Bereits im Jahr 1998 kam jedoch der Rechtswissenschaftler Otfried Seewald aus Passau in einem Gutachten für den Förderverein zur Gründung einer Pflegekammer in Bayern e.V. zu dem Ergebnis, dass verfassungsrechtliche Bedenken fehl am Platz sind. Die Meinungsplura-lität sei insbesondere dadurch gesichert, dass Pflegekräfte Mitglieder werden und an den Entscheidungsprozessen der Kammer mitwirken können. Damit werde soziale Macht ermög-licht und gleichzeitig in verbindliche Rechtsnormen eingebunden. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Gerhard Igl in seinem neusten Gutachten.

Steter Tropfen höhlt den Stein. Das 20-jährige Engagement für Pflegekammern scheint sich langsam auszuzahlen und auf politischer Ebene ein Umdenken hervorzurufen. Die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag hat im August dieses Jahres eine parlamentarische Initiative für die Einrichtung einer Pflegekammer in Niedersachsen angekündigt. Pflegekammern seien geeignet, berufliche Qualitätsstandards festzulegen und deren Einhaltung zu überwachen, sodass in Einrichtungen gleiche Standards gelten, argumentieren die nieder-sächsischen Sozialdemokraten. Damit vollzieht die SPD-Niedersachsen eine Wende, denn zuvor stand sie dem Pflegekammer-Gedanken eher skeptisch gegenüber.
In Hessen ist man inzwischen noch einen Schritt weiter. Hier hat das Sozialministerium im September 2007 ein Positionspapier für die Einrichtung einer Pflegekammer verabschiedet. Das Papier orientiert sich stark an den Vorstellungen der Pflegeverbände und soll jetzt als Grundlage für weitere Beratungen zum Pflegekammer-Projekt dienen. So könnte Hessen vielleicht schon bald vorangehen und mit der Gründung der ersten Pflegekammer in Deutschland aufwarten. Die Nachahmung andernorts ist dann nicht sehr unwahrscheinlich.
Zum Nach- und Weiterlesen
Nationale Konferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland. URL: http://www.pflegekammer.de
Förderverein zur Errichtung einer Pflegekammer in Niedersachsen e.V. URL: http://www.pflegekammer-niedersachsen.de/
IQB – Das Portal zum Medizin- und Pflegerecht. URL: http://www.iqb-info.de sowie http://blog-pflegekammern.iqb-info.de

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