Hoffen auf eine Zukunft in Deutschland

Lange Brücke
Wieder machen sich viele Menschen aus den Kriegs- und Armutsregionen der Welt auf den Weg ins reiche Europa. Die Situation ähnelt jener der Jahre 2015 und 2016. Ein großer Teil von ihnen will nach Deutschland. Die Möglichkeiten, hierzulande Fuß zu fassen, haben sich auch für Geflüchtete ohne Anerkennung im Asylverfahren verbessert. Ein Bericht über die Situation in Niedersachsen im Allgemeinen und die Hoffnung eines jungen Nigerianers im Speziellen.
Ted* strahlt über das ganze Gesicht. Der dreißigjährige Asylbewerber aus Nigeria hält ein Dokument in den Händen, das ihn zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet. Dieser Pflicht kommt Ted gerne nach! Integrationskurse vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind begehrt. Hier lernen die Zuwanderer die deutsche Sprache und erwerben Kenntnisse rund um die Rechtsgrundlagen unseres Gesellschaftssystems: Grundrechte, Gewaltenteilung, Demokratie. Integrationskurse sind für Menschen mit niedrigem Einkommen kostenlos.

Integrationskurse für (fast) alle!

Im letzten Jahr (2023) wäre Ted noch leer ausgegangen. Integrationskurse waren zunächst nicht für Asylbewerber gedacht. Ursprünglich sollten nur Zuwanderer mit Aufenthaltserlaubnis teilnehmen: Anerkannte Flüchtlinge zum Beispiel. Seit 2015 bekamen dann auch Personen im Asylverfahren eine Chance, die aus Ländern mit einer hohen Asyl-Anerkennungsquote kommen, wie zum Beispiel Syrer und Syrerinnen. Inzwischen hat die derzeitige Ampelregierung fast allen Menschen im Asylverfahren den Zugang geöffnet, jedenfalls solange ausreichend Plätze vorhanden sind.
Ted lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Hannover. Die Landeshauptstadt ist in Sachen Integration gut aufgestellt. Neben den verschiedenen Migrationsberatungsstellen der freien Träger und Wohlfahrtsverbände hat Hannover einen eigenen Dienst für Integration und Flüchtlingsberatung: die Kommunale Fachstelle für Migrationsberatung. In sechs Anlaufstellen und in einigen Gemeinschaftsunterkünften mit einem hohen Beratungsbedarf bieten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihre Unterstützung an. Und dazu zählt auch die Ausstellung von Verpflichtungen zur Teilnahme an den Integrationskursen. In vielen anderen Kommunen gehört das nicht zum Standard.

Politiker fordern Begrenzung der ZUwanderung

Ted hofft, dass er bald einen freien Platz in einer Sprachschule ergattert um schnell Deutsch zu lernen und dann einen Job zu finden. Von dem Geld möchte er sich eine kleine Wohnung mieten und seine Familie in Nigeria unterstützen. So wie Ted wagten in den zurückliegenden Monaten wieder Viele den gefährlichen Weg über das Mittelmeer, um in Westeuropa Schutz vor politischen Unruhen, Perspektivlosigkeit, wirtschaftlicher Not und den Auswirkungen von Kriegen und Bürgerkriegen zu finden. Über 200.000 Flüchtlinge haben bis Ende August einen neuen Antrag auf Asyl beim BAMF gestellt, das sind knapp 80 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens fordert inzwischen eine Begrenzung der Flüchtlingszuwanderung, denn die Unterbringungsmöglichkeiten in Niedersachsen seien erschöpft. Bis zu 1600 Flüchtlinge kommen derzeit pro Woche ins Bundesland. Über Integration könne man vor diesem Hintergrund nicht mehr sprechen, sagt die Ministerin. An die Adresse von Bund und europäischer Union gerichtet fordert sie eine Steuerung und Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Der Zuwachs, den wir seit dem Jahr 2015 erleben, sei der Gesellschaft auf Dauer nicht zuzumuten.

Erstaufnahmeeinrichtungen voll belegt

Seit Anfang des Jahres 2023 sind bis Mitte September rund 19.000 Flüchtlinge nach Niedersachsen gekommen, etwa ein Drittel mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Die Plätze in den niedersächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen sind voll belegt und man prüft „unter Hochdruck alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um weitere reguläre und temporäre Unterkünfte für Geflüchtete zu schaffen“, wie Pressesprecher Oliver Rickwärtz vom niedersächsischen Innenministerium mitteilt: „An den Ankunftszentren werden auch winterfeste Zelte aufgestellt“. Innenministerin Behrens hält vor diesem Hintergrund Grenzkontrollen, eine Schließung der Ost-Route und die Überprüfung der Balkanroute für dringend erforderlich. Außerdem müssten sich auch die osteuropäischen Länder um Flüchtlinge und Asylsuchende kümmern, anstatt sie nach Deutschland durchzuwinken. Auch Frank Klingebiel, Präsident des Niedersächsischen Städtetages, bezeichnet die Situation als prekär, und das sei sie bereits im letzten Jahr gewesen, als Turnhallen und Stadthallen zur Unterbringung genutzt werden mussten. Der niedersächsische Städtetag fordert eine, wie es heißt, „vernünftige Begrenzung des Flüchtlingszuzuges“. Außerdem wird eine gerechte Verteilung in Europa angemahnt.

Ruf nach einer europäischen Lösung

Der Ruf nach einer europäischen Lösung des Flüchtlingsproblems gehört seit Jahren zum Mantra der deutschen Migrationspolitik. Geschehen ist seither nicht viel! Immerhin einigte man sich im Rat der Europäischen Union am 08. Juni 2023 auf eine gemeinsame Reform des europäischen Asylsystems. Die Asylverfahren sollen zukünftig bereits an den EU Außengrenzen durchgeführt werden, bis zur Entscheidung müssten die Geflüchteten in grenznahen Auffanglagern bleiben. Davon sollen Personen ausgenommen werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Schutzstatus erhalten. Darüber hinaus will man die Durchreise durch mehrere EU-Länder in das Zielland der Wahl unterbinden, indem die Betreffenden zum Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet verpflichtet werden. Ob dieses Verfahren erfolgversprechender ist als das bisherige, bleibt abzuwarten. Die neuen Regeln sollen spätestens im April 2024 in Kraft treten. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens hofft, dass sich die Aufnahmesituation dadurch entspannt. Eine solidarische Verteilung der Geflüchteten auf allen Mitgliedsstaaten der EU sei dringend geboten.

Geflüchtete in der Landeshauptstadt Hannover: „Situation noch beherrschbar!“

Ein wenig gelassener als im Land Niedersachsen gibt man sich in der Landeshauptstadt. Aktuell sind rund 6000 geflüchtete Personen in städtischen Unterkünften untergebracht, rund 1300 davon Ukrainer und Ukrainerinnen. Die städtischen Unterkünfte seien derzeit zu 93 Prozent ausgelastet, berichtet Pressesprecherin Christina Merzbach. Die Lage in Hannover beschreibt sie als noch beherrschbar. Natürlich habe man die aktuelle Weltlage im Blick und bereite sich darauf vor, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Geflüchtete werden in Hannover willkommen geheißen, sagt Merzbach: „Hannover steht nach wie vor für eine liberale Flüchtlingspolitik. Wir haben eine soziale Verantwortung gegenüber Menschen aus anderen Ländern und Krisengebieten in Not.“ Um sich auf weitere Zuwanderer vorzubereiten, sondiere man den Markt hinsichtlich des Baus oder der Anmietung weiterer Unterbringungskapazitäten. Hannover hat seine bisherigen Aufnahmequoten erfüllt. Eine neue Quote gibt es noch nicht. Die Verantwortlichen in der Landeshauptstadt sind optimistisch, nicht wieder Messehallen für die Unterbringung nutzen zu müssen, wie es in den ersten Monaten des Jahres 2023 der Fall war.
Ted aus Nigeria ist nach Hannover gekommen, als die Messehallen durch die Schaffung anderer Unterbringungsmöglichkeiten schon wieder schließen konnten. Derzeit lebt er mit rund 200 anderen Geflüchteten in einer Gemeinschaftsunterkunft im Osten Hannovers. Er stammt aus einer Gegend in Nigeria, die schon einige Male das Ziel von Überfällen durch die Terrormiliz Boko Haram geworden ist. Ob das als Asylgrund anerkannt wird, ist ungewiss. Etwa 11 Prozent der Asylsuchenden aus Nigeria erhalten in Deutschland einen Schutzstatus. Durch die Möglichkeit, jetzt schnell Deutsch zu lernen, rechnet sich Ted allerdings gute Chancen aus, bleiben zu können, auch wenn es mit der Anerkennung in Asylverfahren nicht klappen sollte. Denn seit einigen Jahren gibt es die Möglichkeit, durch Ausbildung oder eine Arbeitsstelle mit festen Einkommen, mittelfristig eine Aufenthaltserlaub zu erwerben.

Standards für Schutzsuchende erhalten und gleichzeitig Zuwanderungszahlen absenken

Die guten Chancen für Geflüchtete in Deutschland haben sich natürlich auch in den Herkunftsländern herumgesprochen. Und so werden zukünftig Wege gefunden werden müssen, weiterhin hohe humanitäre Standards für Schutzsuchende aufrecht zu erhalten und gleichzeitig die Zuwanderungszahlen so abzusenken, dass eine Überforderung der Kommunen, Institutionen und der Bevölkerung vermieden wird. Nur so bleibt eine gute Integration der Ankommenden gewährleistet, darin sind sich die meisten der politisch Verantwortlichen einig.
*Der Name wurde geändert