Mit dem Hund hat sich der Mensch etwas Wölfisches und damit ein Stück der vermeintlich von sich abgespaltenen Natur in die Gesellschaft zurück geholt.
Das muss dem modernen Menschen im Kapitalismus, dem bürgerlichen Subjekt, das nur das akzeptiert, was es begreifen, erfassen, vermessen und verwerten kann, immer ein wenig suspekt bleiben. Und so bleibt ihm der Hund suspekt, wie auch die von sich abgespaltene Natur. Letztlich aber wissen die Menschen, dass sie ohne die Hunde nicht klar kommen würden. Es ist der Hund, der diese Ambivalenz auszubaden hat.
Neulich war ich mit meinem Hund in einem zweigeschossigen Einkaufszentrum unterwegs. Um von der oberen Etage wieder in die untere zu gelangen, nahm ich die Treppe: Mein Aussie und ich hatten dabei leichte Schwierigkeiten, unser Tempo zu synchronisieren. Für die letzten zehn Stufen ließ ich also die Leine los und meinen vierbeinigen Freund ausnahmeweise vorausflitzen, um ihn, als er unten ankam, gleich ins Sitz zu rufen. Da hockte er also brav neben der Treppe und wartete auf mich.
Jeder Hundetrainer hätte an ihm seine reine Freude gehabt, etliche vorübereilende Passanten hatten sie augenscheinlich auch und betrachteten die Szene mit wohlwollendem Lächeln.
Ich war gerade dabei, die Leine wieder aufzuheben, da herrschte mich jemand von der Seite an: „Hier ist Leinenpflicht im gesamten Gebäude, sehe ich das noch mal, gibt’s Hausverbot.“ Ich blickte auf und schaute einem etwa 30-jährigen uniformierten Mann – augenscheinlich Sicherheitsdienst – ins Gesicht. „Aber mein Hund ist doch an der Leine“, entgegnete ich. „War er nicht“, kam als Antwort zurück, „wollen Sie eine Anzeige?“ Ich versuchte es noch mit einer kleinen Diskussion über die Frage, ob er nichts Besseres zu tun habe, als sich über solche Nebensächlichkeiten aufzuregen, er sehe doch, dass mein Hund gut erzogen sei, reizte damit allerdings sein uniformiertes Gemüt nur noch mehr. Daher begab ich mich doch lieber schnellst möglich aus der kontaminierten Stimmungszone. Der uniformierte Ordungstyp stellte die Verfolgung glücklicherweise nach wenigen Metern ein. Prinzipiell hätte sich die ganze Sache natürlich gütlicher regeln lassen. Eine freundlich vorgetragene Bitte, meinen erkennbar gut erzogenen Hund doch trotzdem an diesem Ort absolut immer, jederzeit und unter allen denkbaren gewöhnlichen und ungewöhnlichen Umständen, ausnahmslos sowie ohne Wenn und Aber an der Leine zu führen, wäre von mir bestimmt nicht abschlägig beschieden worden. Aber hier ging es offensichtlich darum, Hund und vor allem Halter mit der Hausordungskeule mal so richtig eins überzubraten. Dies kann man ruhig als Indiz für die grassierende Hundefeindlichkeit werten.
Der Psychologe und Biologe Christoph Jung, Verfasser des „Schwarzbuchs Hund“, meint, dass es den Hunden heute so schlecht gehe wie noch nie zuvor. Jede Freiheit und Achtung sei ihnen genommen: „Politiker drücken den Hund an den Rand der Gesellschaft. Seine großen Fähigkeiten werden nicht mehr gefordert. Seine Gesundheit liegt am Boden.“
So falsch dürfte Jung nicht liegen. Leinenzwang und Hundeverbote greifen immer stärker um sich. Länder und Kommunen befassen sich in der Regel dann mit dem Thema Hund, wenn es darum geht, seine Bewegungsfreiheit wieder einmal einzuschränken. Selbst auf dem Land ist es zuweilen schon schwierig, ein Plätzchen zu finden, wo man seinen Hund unangeleint laufen, toben, schnüffeln und buddeln lassen kann. Hunde werden schlichtweg ausgebootet. Selbstverständlich muss ein Hund in der Lage sein, ohne Probleme und ohne seinen Menschen hinter sich her zu zerren, an der Leine zu gehen. Aber ein ständiges Angeleint-sein ist nicht artgerecht. Der Hund braucht Bewegungsfreiheit, er muss das Terrain erkunden und Neues entdecken können.
Links, liberal und hundefeindlich
Als ich seinerzeit einigen Freunden eröffnete, dass meine Frau und ich uns demnächst einen Hund ins Haus holen würden, war das Naserümpfen kaum übersehbar. Einen Hund? Wie uncool – so die erkennbare Reaktion. Hunde haben unter vielen Angehörigen der vornehmlich städtischen, linksliberalen, karriere- und aufstiegsorientierten akademischen Mittelschicht ein ziemlich mieses Ansehen. Wenn schon einen vierbeinigen Mitbewohner, dann lässt man eine Katze oder vielleicht gerade noch das Meerschweinchen gelten, aber Hunde, das geht überhaupt nicht. Hunde gelten als devot, unterwürfig und angepasst, ideale Begleiter des Spießbürgers, der an ihnen seine unbefriedigten Allmachtsfantasien ausleben kann. Außerdem kacken sie alles voll, belästigen einen beim Radfahren oder joggen und schränken die eigene Reise- und Bewegungsfreiheit ein. Katzen hingegen werden als die Freigeister unter den Haustieren gesehen, ungebunden, unabhängig, aufmüpfig und selbstbewusst, eben so, wie man selbst gern sein möchte. Bei solchen Vorlieben und Abneigungen handelt es sich natürlich immer auch um Projektionen der eigenen Befindlichkeit, von der nicht selten ganze gesellschaftliche Gruppen befallen sind. Und der Hund kommt hier ungerechterweise oft schlecht weg, kann man ihm scheinbar doch recht einfach all jene Dispositionen und Haltungen unterstellen, die man gern von sich abspalten möchte.
Hunde – Helfer für sturzbetrunkene Punks
Unsere postmodernen Freigeister, die Hundehaltern offen oder insgeheim gern den Spießerstempel aufdrücken, sind in der Regel recht gut gesettlet und in die Gesellschaft integriert. Anders sieht es bei denen aus, die sich – ob freiwillig oder unfreiwillig – an den Rändern unserer Gesellschaft befinden, wie etwa Punks oder auch Obdachlose. Hier herrscht im Großen und Ganzen überhaupt keine Hundefeindlichkeit, im Gegenteil. Für etliche Obdachlose etwa sind die Hunde nicht nur wichtige Sozialpartner, sondern zugleich auch potenzieller Schutz. Müssen sie sich doch in unserer Ellenbogengesellschaft zunehmend durch Nazis oder andere Menschen mit krimineller Energie bedroht fühlen. Hunde können eine gewisse Sicherheit geben. Und etliche Punker wissen Geschichten davon erzählen, wie ihre Hunde sie nach Haus brachten und dabei sogar die Verkehrsregeln beachteten, nachdem sie selbst mal wieder allzu arg einen über den Durst getrunken hatten.
Hier klappt das natürliche Zusammenspiel zwischen Hund und Mensch augenscheinlich noch auf eine fast intuitive Art und Weise. Das wirft Schlaglicht auf jene letztlich unbestreitbare Tatsache, die in unserer modernen Gesellschaft und insbesondere unter sich aufgeklärt dünkenden Zeitgenossen allerdings gern vergessen wird: Hund und Mensch sind und waren von alters her ein Team, und zwar mehr, als es Mensch und Katze, Mensch und Menschenaffe oder überhaupt Mensch und andere nicht-menschliche Erdenwesen es auf unabsehbare Zeit jemals sein werden.
Einige Anthropologen behaupten, dass die Sesshaftwerdung des Menschen ohne den Hund kaum hätte stattfinden können. Das mag umstritten bleiben. Gesichert ist jedoch mittlerweile, dass die Hunde diesen Prozess wesentlich begünstigt und erleichtert haben. Hunde dienten den Menschen beim Jagen, schützten deren Lagerstätten und später Ansiedlungen, hüteten das Vieh, trieben es auf die Weideflächen und halfen beim Aufspüren von Nahrungsmitteln. Hierdurch erst gewannen die Menschen zeitliche Freiräume für all die Innovationen, die ihnen das Leben erleichterten. Hunde waren überall dabei, wo Pioniergeist gefragt und der Mensch extremen Situationen ausgesetzt war. Sie waren wesentlich daran beteiligt, die neue Welt zu erschließen und auszubeuten. Die Eroberung Kanadas, Alaskas und der Arktis etwa wäre ohne die Hunde als Schutz gegen Wildtiere, als Fährtensucher und Schlittenhunde kaum denkbar gewesen. Und wer wurde zuerst ins Weltall geschickt? Eine Hündin.
Blitzgescheite Helden
Auch heute noch retten Hunde Verschüttete, ersetzen Blinden das Augenlicht, spüren Vermisste auf, erleichtern alten und vereinsamten Menschen das Leben, bewachen und beschützen Menschen, Gebäude und Objekte, lindern Depressionen und helfen inzwischen sogar bei der Diagnostizierung von Krankheiten. Die Gründe für diese enge Verbindung zwischen Mensch und Hund sind schnell genannt: Hunde sind widerstandsfähig und belastbar. Sie sind äußerst lernfähig und in der Lage, selbstständig der Situation angepasste Verhaltsstrategien zu entwickeln. Vor allem aber: Im Bereich der Kommunikation zwischen Mensch und nichtmenschlichen Individuen ist die Beziehung zwischen Mensch und Hund einzigartig. Selbst mit unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, klappt die Verständigung nicht so gut wie mit Hunden. Hunde können komplizierte menschliche Gesten deuten, die menschliche Mimik interpretieren und auf einer einfachen Ebene menschliche Sprache verstehen.
Heute weiß man, dass es sich dabei nicht lediglich um ein äußerliches Andressieren von Lauten im Sinne des Reiz-Reaktions-Schemas handelt. Bis zu einem gewissen Grad kapieren die Hunde wirklich, was wir meinen und können daraus auch eigene Schlussfolgerungen treffen. Kaum jemand, der einmal näher mit einem Hund zusammengelebt hat, kann sich der Faszination dieser genialen Wesen entziehen. Der Dramatiker Maurice Maeterlinck hat das Ganze so beschrieben: „Der Mensch liebt den Hund, aber wieviel mehr noch müßte er ihn lieben, wenn er daran denkt, daß er in der unbeugsamen Harmonie der Naturgesetze die einzige Ausnahme, das einzige Wesen ist, das die Trennungswand durchbrochen hat, um uns näher zu sein; diese Trennungswand, die sonst überall undurchdringbar die Arten voneinander scheidet. Wir sind allein, vollkommenen allein auf diesem Zufallsplanet. Und von all den vielen Lebewesen, die uns umgeben, hat keines außer dem Hund einen Bund mit uns geschlossen (Maeterlink nach Klever 1966: 7).“
Keiner hat`s gesehen
Dennoch haben Hunde es in unserer Gesellschaft immer schwerer, ihren Platz für ein artgerechtes Leben zu finden. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Insbesondere soziale, anthropologische und gesellschaftliche Aspekte sind hier von Belang. Man soll sich zuerst immer an die eigene Nase fassen, und wir Hundefreunde haben da leider ein ganz stattliches Sündenregister vorzuweisen. Manche machen es einem wirklich nicht leicht, sie und ihre vierbeinigen Freunde zu mögen. Mein Eindruck: Je stärker die Ellenbogenmentalität in unserer Gesellschaft um sich greift, desto mehr macht sich auch die Rücksichtslosigkeit und der Egoismus unter Hundehaltern breit. Streitpunkt „Dogshit“. Müssen müssen wir alle, Menschen wie Hunde. Hunde beherrschen den Trick mit der Kloschüssel allerdings nicht so gut, sondern entledigen sich – was sie auch sollen – unter freiem Himmel, wenn es nicht anders geht auch auf Gehwegen oder mitten auf den Grünflächen, schlimmstenfalls in der Nähe von Spielplätzen. Wohin jetzt mit der Scheiße? Hat ja keiner gesehen, also schnell weg! So jedenfalls verhalten sich viele Hundebesitzer. Die kleinen braunen Häufchen sind ein immer wiederkehrendes Ärgernis und zudem ein potenzielles Gesundheitsrisiko für andere Hunde und auch für Menschen. In Politik und Medien wird das Ganze inzwischen als ein zunehmendes gesellschaftliches Problem diskutiert – verursacht von uns Hundebesitzern. Wer es zulässt, dass sein Hund auf öffentlichen Wegen und Plätzen Tretminen auslegt, der nimmt in Kauf, dass die Akzeptanz für Hunde immer weiter sinkt. Also gibt es nur eins: Jeder Hundebesitzer muss sich mit diesen kleinen Dogshit-Tütchen ausstatten, den Dreck seines vierbeinigen Freundes aufnehmen und im nächsten Abfalleimer entsorgen. Das ist eine relativ hygienische Sache.
„Der tut nix“
Vor einigen Tagen las ich in der Zeitung, dass die Eltern der Kinder einer KiTa im hannoverschen Welfengarten sich schon seit Längerem immer wieder darüber beschwerten, dass freilaufende Hunde auf ihre Kinder zusprängen und viele Kinder deshalb Angst bekämen. Auch hier gilt: Rücksichtslose Hundehalter schaden dem Ruf aller anderen. Natürlich müssen Hunde das Recht haben, frei herumzulaufen und zu toben, auch in den städtischen Parks. Aber die Menschen, die sich dort bewegen, haben auch das Recht, von den Hunden in Ruhe gelassen zu werden. Gerade dieses meiner Meinung nach uneingeschränkte Recht auf Distanz wird zu häufig missachtet. Der tut nix, der will nur spielen, heißt es dann, dieser Spruch hat fast schon traurigen Kultstatus erlangt. Man selbst nimmt für sich und seinen Hund ganz selbstverständlich bestimmte Rechte in Anspruch, verweigert sie jedoch anderen Menschen. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes un- also asozial. Wer seinen Hund in stark frequentierten Parks frei herumlaufen lässt, muss ihn so weit im Griff haben, das er ihn jederzeit abrufen oder auf Entfernung absitzen lassen kann, etwa um Passanten vorübergehen oder Fahrradfahrer vorbeifahren zu lassen. Wenn das nicht funktioniert, muss man den Hund eben doch anleinen und sich auf die ausgewiesenen Freilaufflächen beschränken. Und sollte es dann trotzdem einmal passieren, dass der Hund einem Fahrradfahrer in die Quere kommt, auf einen anderen angeleinten Hund zuspringt oder ungebeten an Spaziergängern herumschnüffelt, dann hat man sich selbstverständlich zu entschuldigen und nicht seinerseits noch herumzupöbeln. Mit dieser Verfahrensweise habe ich bisher fast immer gute Erfahrungen gemacht.
Kampfhunde. Gibt es nicht?
In den letzten Jahren häuften sich Berichte über Beißattacken und Angriffe von Hunden, die teilweise einen für Menschen tödlichen Ausgang nahmen. Eine traurige Berühmtheit erlangte dabei der Tod des kleinen Volkan im Jahr 2000 in Hamburg, der von zwei Staffordshire-Mischlingen auf einem Schulhof zu Tode gebissen wurden. Dieser Vorfall hat zu Recht allerorten Entsetzen und Empörung ausgelöst. Sofort beteuerten die Freunde der als Kampfhunderassen bekannten Hundetypen, zu denen auch die beiden Stafford-Mischlinge gehörten, dass dieser Vorfall nichts mit der Rasse, sondern allein mit der falschen Erziehung durch die Hundehalter zu tun hätte. Eigentlich gäbe es gar keine Kampfhunde, jegliche Hunde könnten durch Erziehung erst dazu gemacht werden. Nun ja, ich halte diese Argumentation immer für ein wenig fadenscheinig.
Selbstverständlich gibt es Rassetypen, die sich durch jahrhundertelange Herauszüchtung von bestimmten Verhaltenseigenschaften voneinander unterscheiden. Wenn es nicht gerade um die sogenannten Kampfhunde geht, wird das auch von niemandem bestritten. American Staffordshire Terrier wie auch Pitbull Terrier und ähnliche Rassen wurden im 19. Jahrhundert für die Durchführung von Hundekämpfen gezüchtet. In die Zucht kamen besonders ausdauernde, kräftige widerstandfähige, schmerzunempfindliche und aggressive Hunde. Erst als diese Hunde im 20. Jahrhundert einen offiziell verbrieften Rassestatus erhielten, begann man, mehr auf Aussehen als auf Kampftauglichkeit zu achten. Dennoch ist mir nicht klar, warum sich gerade bei diesen Hunden die ursprünglichen Eigenschaften nicht im Typ niedergeschlagen haben sollten. Und gerade dieser Eigenschaften wegen werden sie ja auch von bestimmten Leuten gern gehalten, so auch von den Besitzern der beiden Exemplare, die Volkan töteten. Deshalb auch akzeptiere ich die Bezeichnung „Kampfhund“ als einen legitimen Sammelbegriff für bestimmte Hundetypen, ebenso wie „Schutzhund“, „Jagdhund“ oder „Hütehund“. Der Kampfhund ist ein spezieller Hundeschlag, der in erster Linie für den Einsatz in Showkämpfen gezüchtet wurde, und – nebenbei bemerkt – in bestimmten Kreisen auch heute noch für diesen Zweck verwendet wird, auch wenn dies verboten ist.
Banal aber wahr: Der Mensch ist schuld
Die meisten Hunde-Attacken gehen in der Tat nicht von diesen Kampfhunden, sondern von weiter verbreiteten Rassen wie etwa den Deutschen Schäferhunden aus. Davon gibt es auch wesentlich mehr und es gibt sie in Deutschland schon wesentlich länger. Dennoch stehen Pitbulls und Staffords hinsichtlich ihrer Aggressivität gegenüber anderen Hunden und auch Menschen recht weit oben der Liste. Die Argumentation, dass letztlich nicht der Hund, sondern der Mensch die Verantwortung trägt, halte ich dabei für recht trivial. Fakt ist, bestimmte Hunde eigenen sich besser dafür, zur gefährlichen Waffe gemacht zu werden, als andere. Nur weil Schusswaffen nicht allein ballern, sondern Menschen dazu notwendig sind, plädieren wir ja auch nicht für die Abschaffung des Waffengesetzes. Fazit: Wer Hunde als Waffe oder entsprechendes Statussymbol missbraucht, schadet objektiv dem Ansehen des Hundes in der Gesellschaft und trägt damit zur Verfestigung der Hundefeindlichkeit bei. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das alles rechtfertigt es natürlich nicht, einzelne Hunde lediglich aufgrund ihrer Rassezugehörigkeit in Tierheime zu pferchen oder gar umzubringen, wie in einigen Nachbarländern Deutschlands geschehen.
Natürlich hat die Tragödie in Hamburg der Akzeptanz von Hunden in der Gesellschaft insgesamt geschadet. Es stimmt, dass Beißattacken von Hunden in den letzten Jahrzehnten insgesamt nicht signifikant zugenommen haben. Aber seit Volkans Tod stehen solche Vorfälle wesentlich stärker im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Gewachsen ist dadurch sicher auch die allgemeine Angst vor Hunden. Durch diesen Vorfall ist unsere Gesellschaft hundefeindlicher geworden. Zu verantworten haben das jene, die aus diesen Hunden beißwütige Killer gemacht haben, sowie die Behörden, die nicht rechtzeitig intervenierten, obwohl es schon vorher etliche Warnungen genau vor diesen Hunden gab. Christoph Jung hat das in seinem „Schwarzbuch Hund“ akribisch recherchiert. Man kann sich darüber beklagen, aber unsere Medienlandschaft ist so gestrickt, insbesondere derartigen Dramen eine besondere Beachtung bekommen zu lassen, ganz einfach, weil sie gut zu vermarkten sind. Dass die allgemeine gesellschaftliche Bilanz zwischen Gefahr und Nutzen deutlich zugunsten der Hunde ausfällt, tritt da leicht in den Hintergrund. Hundebuch-Autor Christoph Jung formuliert es so: „Bei Erdbeben oder dem Zusammenbruch von Gebäuden sind Trümmerhunde unverzichtbare Helfer. Alleine die durch Rettungshunde beschützten und geretteten Menschenleben sollten uns jede Diskussion über die Zahl von Beißunfällen etwas sachlicher und realitätsnäher und auch respektvoller führen lassen (Jung 2009: 215).“
Etwas Passendes für jede Neurose
Hunde gehören zur Gattung der Caniden, sie sind direkte Abkömmlinge der Cani lupi, also der Wölfe. Dabei haben sie immer noch genug Wölfisches an sich, um bewusst oder unbewusst mit ihren Vorfahren assoziiert zu werden. So eng die Beziehung zwischen Mensch und Hund auch geworden ist, so alt ist die Rivalität zwischen Mensch und Wolf. Gleichwohl haben beide vieles gemeinsam: Mensch wie Wolf passen sich erstaunlich gut ganz unterschiedlichen Umweltbedingungen an und haben sich fast über die ganze Welt verbreitet. Beide leben in sozialen Systemen und sorgen arbeitsteilig für ihr Überleben. Und beide haben und hatten von alters her ein sehr ähnliches Beuteschema. Vielleicht ist gerade diese Ähnlichkeit Grund für die menschlichen Ängste und das Misstrauen gegenüber Wölfen. Die Einstellung der Menschen zu den Wölfen schwankt seit jeher zwischen Angst, Faszination und Abscheu. Einige Autoren machen das Christentum für die Feindschaft gegenüber den Cani Lupi und den sich um den Wolf rankenden Aberglauben verantwortlich. Aber bereits uralte Mythen erzählen davon, dass sich ein Mensch unter bestimmten Umständen mit dem Wolf in ein wölfisches Zwischenwesen, den Werwolf, verwandelt. Im christlichen Mittelalter verband sich dieses mythologische Motiv mit dem Hexenwahn. So wurden auch Männer verfolgt und ermordet, denen man andichtete, Werwölfe zu sein. Als die Menschen in der Neuzeit immer weiter in die Wildnis vordrangen, griffen die Wölfe bisweilen auch schon einmal deren Vieh an. Wenig belegt sind Wolfsangriffe auf Menschen. Trotz hatte man kein Problem damit, den Wolf in großen Teilen Europas gänzlich auszurotten. Geblieben sind jene Wölfe, die sich mit den Menschen auf eine sehr enge Beziehung eingelassen haben, die Hunde. Das, was sich dem Wolf nun nicht mehr in die Schuhe schieben lässt, muss jetzt der Hund ausbaden. Wesen, die dem Menschen so nahe stehen wie er, eignen sich hervorragend für die Projektionen dessen, was einem an sich selbst Angst macht oder was man an sich hasst. Mal ist der Hund die unberechenbare, grausame Bestie, mal der unterwürfige Trottel, der den Menschen mit seinen treudoofen Augen anblickt und bedingungslos jede eigene Willensregung aufgibt. Andererseits wird er verzärtelt und vermenschlicht, sodass man ihn kaum noch als eigenständiges Gattungswesen wiedererkennt. Der Hund bietet eben für jede Neurose etwas Passendes.
Nicht mit und nicht ohne
Gerade aber weil er ein eigenständiges Wesen ist, geht von ihm immer etwas aus, was sich dem menschlichen Kalkül entzieht. Hunde sind jene Wölfe, deren Vorfahren sich Menschen als Sozialpartner wählten und lernten, sich auf die menschlichen Schrullen einzustellen. Auf diesen Tatbestand sind ein Großteil ihrer Verhaltensstrategien abgestellt.
Mit dem Wölfischen aber hat der Mensch sich ein Stück von dem in die Gesellschaft geholt zurückgeholt, was er als Natur zu etwas vermeintlich Äußerem machte. Die Natur führt seither ihr scheinbares Eigenleben. Aber da lebt im Hund mitten unter uns ein nicht vollständig kalkulierbares und kontrollierbares Stück Natur. Das muss dem modernen Menschen im Kapitalismus, dem bürgerlichen Subjekt, das nur das akzeptiert, was es begreifen, erfassen, vermessen und verwerten kann, immer ein wenig suspekt bleiben. Und so bleibt ihm der Hund suspekt, wie auch die von sich abgespaltene Natur. Letztlich aber wissen die Menschen, dass sie ohne die Hunde nicht oder nur sehr viel schlechter klar kommen würden. Es ist der Hund, der diese Ambivalenz auszubaden hat.
3 Antworten
Netter Blog, gefaellt mir.
Danke!
echt klasse, gefaellt mir richtig gut.
Ich liebe Hunde und es ist immer wieder schoen, etwas ueber sie zu lesen.
Liebe Gruesse