Der Dom am Deich

Tief hängen die dunklen Wolken über der Küste. Brackige Gräben durchziehen das gelblich-braune Gras der Salzwiesen. Sie sind aus dem Schlick des Meeres entstanden und haben die Nordsee an manchen Stellen weit hinter den Deich zurückgedrängt. Das Auge verliert sich im Nebeldunst, der über Meer und Wiesen hängt und beides zu einer einzigen weiß-grauen Weite verschmilzt. Es ist Winter auf Nordstrand.

Aus der alt-katholischen Theresienkirche dringt Licht, die Tür ist offen. An der Frontseite des Gebäudes über dem Eingang ist in großen, schmiedeeisernen Buchstaben das Wort „DOM“ zu lesen. Weihrauchduft durchzieht die Kirche. Kerzen in kunstvoll geschmiedeten Ständern zieren Chor und Altarraum. Auf filigran geschnitzten Sockeln an den Wänden stehen verschiedene Heiligenfiguren. Dahinter das Bild des Gekreuzigten, über das sich eine von Säulen gesäumte Kuppel neigt, die mit einem Sterenenfirmament bemalt ist. Über der etwa sieben Meter langen Kommunionbank flackert das ewige Licht. Manche, die eher an die Nüchternheit der protestantischen Kirchen in Norddeutschland gewöhnt sind, mag der kleine Dom unvermittelt an eines der orthodoxen Gotteshäuser erinnern, die sie während ihres Griechenlandurlaubs kennen gelernt haben.

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Die Alt-Katholiken laden „Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen“ zu ihrem Gottesdienst ein
Zu besonderen Anlässen, etwa am Sylvesterabend oder an Weihnachten, ist der Inseldom so voll, dass kaum alle Besucher in der Kirche Platz finden. „Wir sind bekannt auf Nordstrand“, sagt Pfarrer Georg Reynders, der die alt-katholische Kirchengemeinde seit 12 Jahren betreut. Der Pfarrer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Bekanntheit und Beliebtheit verdankt der Nordstränder Dom vor allem dem 55jährigen Reynders. Er hat die Kirche zu einem offenen Ort für alle gemacht. Eingeladen sind „Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen“, wie es auf der Homepage der Gemeinde heißt. „Zu uns kommen auch viele nicht alt-katholische Gäste“, hebt Reynders hervor. Er freut sich darüber, dass die Kirche zu einem Anziehungspunkt auf Nordstrand geworden ist.

Eine „Insel für die Seele“
Die 50 km² große Insel liegt auf der Höhe des schleswig-holsteinischen Städtchens Husum und ist durch einen 4 Kilometer langen Autodamm mit dem Festland verbunden. Weitflächig verteilen sich kleine Ortschaften über das Land. Früher bestanden sie aus wenigen Bauernhöfen, heute gruppieren sich einige Wohn- und Feriensiedlungen um die Höfe herum. Dazwischen liegen ausgedehnte Wiesen und Marschgebiete, auf denen Schafe und Kühe weiden. Nördlich grenzt der Beltringharder Koog an die Insel. Dieses Neuland, das sich entlang des Autodamms fast bis zum Festland hinzieht, wurde in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch Eindeichungsmaßnahmen gewonnen. Es bildet Brut- und Rastplatz für zahlreiche Vogelarten und steht unter Naturschutz.

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Hinter dem Deich (Foto: A.Beinsen)

„Nordstrand, dass ist eine Insel für die Seele, ein Ort für Ruhesuchende und Naturliebhaber“, sagt Pfarrer Reynders, „hier können die Menschen wirklich zu sich selbst finden“. Die Nordstrand-Fans werden ihm recht geben. Wer hingegen das mondäne Strandleben mit Partys, Bars und schicken Restaurants sucht, sollte lieber nach Sylt ausweichen. Nordstrand, das bedeutet „Entspannung pur“. Im Winter können die Besucher ausgedehnte Spaziergänge auf dem Deich unternehmen, sich den rauen Seewind um die Nase wehen lassen und anschließend in einer der rustikalen Gaststätten ein heißes Getränk mit oder ohne Schuss schlürfen. Besonders beliebt: Friesentee, Grog und Pharisäer. In den milderen Jahreszeiten werden geführte Wattwanderungen sowie Ausflüge zu den Halligen und Seehundsbänken angeboten.

Ein echter Dom auf einer kleinen Nordsee-Insel
Der Dom und die altkatholische Gemeinde auf Nordstrand haben ihre ganz eigene Geschichte. Nachdem die Insel im Jahr 1634 durch eine Sturmflut weitgehend zerstört wurde, holte der Herzog einige niederländische Deichbauer ins Land. Da er auf die erfahrenen Niederländer für den Wiederaufbau der Deichanlagen nicht verzichten wollte, versprach der evangelische Landesvater den katholischen Experten die Religionsfreiheit. Im Jahr 1662 erbauten sie ihre katholische Kirche. Von den tief frommen Stiftsherren, die den Deichbau leiteten, wurde sie nach der spanischen Karmeliterin und Mystikerin Theresia von Avila benannt. Irgendwo im Fundament hinterließen die Erbauer eine Reliquie der Heiligen. „Fragen sie mich aber nicht, wo genau die ist“, sagt Pfarrer Reynders, „ich habe keine Ahnung“.
Obwohl die Kirche nur Platz für knapp 100 Besucher bietet, handelt es sich dabei wirklich um einen Dom, wie Reynders stolz betont. Gestiftet und erbaut wurde sie von Christian de Cort, einem Angehörigen der Oratorianergemeinschaft aus Flandern. Die Anhänger dieser katholischen Gemeinschaft kümmerten sich um Arme und Hilfsbedürftige und hielten Gottesdienste statt in lateinischer Sprache in den jeweiligen Volkssprachen ab. Die katholische Kirche auf Nordstrand wurde als Stiftskirche der Oratorianer neben einer ursprünglich vorhandenen Kapelle errichtet. Nicht nur Bischofssitze, auch solche Stiftskirchen bezeichnete man im späten Mittelalter als Dom.

Eigensinnige Katholiken gegen den Papst
Die Gemeinde war Teil des niederländischen Erzbistums Utrecht, das sich unter schwierigen Bedingungen in den calvinistischen Niederlanden behaupten musste. Dieser Umstand führte zu einer größeren Eigenständigkeit gegenüber Rom. In den Augen der römischen Kurie und der ihr treu ergebenen Jesuiten, die als Missionare in die überwiegend protestantischen Niederlande gesandt wurden, war der Utrechter Erzbischof ein Häretiker. Im Jahr 1723 verfügte der Papst seine Absetzung. Doch den vom Vatikan eingesetzten „apostolischen Vikar“ erkannten weder Klerus noch Gläubige des Bistums an, sie hielten ihrem Erzbischof die Treue.
Nach harten Auseinandersetzungen mit Rom über die Leitung der Nordstrander Gemeinde setzte sich auch hier der Utrechter Erzbischof durch. Daher existiert bereits seit dem 18. Jahrhundert eine vom Papst unabhängige katholische Kirchengemeinde auf der Insel. Erst im Jahr 1920 wurde sie der alt-katholischen Kirche Deutschlands angegliedert. Der Einzugsbereich der Gemeinde umfasst heute ganz Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen mit knapp 600 Mitgliedern.

Christliches Multikulti auf der Insel
Neben der alt-katholischen und der evangelischen Kirche gibt es seit 1866 auch wieder eine römisch-katholische Kirchengemeinde auf Nordstrand. Die Pfarrei St. Knud ist außerdem für die römischen Katholiken auf Pellworm und den benachbarten Halligen zuständig. Von den einstigen Rivalitäten zwischen römischen und Alt-Katholiken ist auf Nordstrand heute nicht mehr viel zu spüren. Auf Nordstrand klappt das Miteinander der christlichen Kulturen wieder. Die Pfarrer aller Konfessionen pflegen untereinander rege Kontakte und sind auch schon beim gemeinsamen Fußballspiel gesehen worden. „Wir Nordstrander sind stolz auf unsere drei Kirchen, das ist schließlich eine der Besonderheiten hier“, sagt Reynders.
Nordstrand, die Insel mit den drei Kirchen, ein Ort, um zur Ruhe zu kommen. Wer will, kann das Eiland auch als Ausgangspunkt für Entdeckungsreisen an der nordfriesischen Küste nutzen. Es muss eben nicht immer Westerland sein.

Homepage: http://www.nordstrand-insel-fuer-die-seele.de/index.html

Die Familie Reynders hat ein Gästehaus. Kontaktadresse für den Urlaub „bi pasders“, hochdeutsch, beim Pastor:
Cornelia Reynders
Anschrift: Osterdeich 1, 25845 Nordstrand
Email: urlaub@bi-pasders.de
Schnelle elektronische und unmittelbare Kommunikation:
Tel. 0 48 42 – 409, Fax: 0 48 42 – 15 11

Führungen durch den Beltringharder Koog können in der Naturschutzstation Arlauschöpfwerk in Hattstedt gebucht werden:
Naturschutzstation Arlauschöpfwerk
Hattstedter Marsch 42
25856 Hattstedter Marsch
04846/530

Sehenswertes auf dem Festland:
Erich Nolde Museum / Stiftung Seebüll
Ada und Emil Nolde
25927 Neukirchen
Germany
Telefon: +49 (0) 4664 – 364
Telefax: +49 (0) 4664 – 1475
E-Mail: info@nolde-stiftung.de

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