Aus aktuellem Anlass: Der General und das Kosovo

Vorangestellt

Gestern, am hat 22. Juli 2010, hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag sein Urteil zur Unabhängigkeitserklärung der südserbischen Provinz Kosovo verkündet. Die Mehrzahl der Richter in Den Haag, zehn von insgesamt 14, haben die Loslösung für rechtens erklärt.
Dieses Urteil nehmen wir zum Anlass um daran zu erinnern, dass die mediale Berichterstattung über den Konflikt und die Politik der westlichen Länder auch hierzulande nicht ohne Widerspruch geblieben sind. Dabei kam der Protest nicht nur von einer Seite, von der man ihn ohnehin erwartete, nämlich von der Linken – seinerzeit noch PDS – und ihrem Umfeld. Auch ein ehemals hochkarätiger Bundeswehrgeneral hat seit dem Nato-Krieg von 1999 immer wieder seine Stimme erhoben und versucht, eine andere Sicht auf die Geschehnisse publik zu machen. Der Name des Mannes ist Hans Loquai. Im Jahr 2005 stellte er seine Positionen unter anderem auf einer Veranstaltung im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge vor. Ich berichtete seinerzeit für das hannoversche Online-Journal „Lange Leine“ darüber.
Aus aktuellem Anlass wird mein Beitrag aus dem Jahr 2005 hier noch einmal wiedergegeben.

Scharfe Kritik an Darstellung des Kosovo-Krieges

Der Ex-General Heinz Loquai hat im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Arbeitskreises Regionalgeschichte in Neustadt am Rübenberge die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg kritisiert.

Vielleicht sei er ja ein Armee-Fossil, das den alten Zeiten hinterher trauere, als die Bundeswehr noch eine reine Verteidigungsarmee war, sagte Heinz Loquai und lächelte süffisant. Der drahtige und seriös mit einem grauen Anzug und Krawatte bekleidete 67-jährige Ex-General sprach am Donnerstag, dem 3. November 2005, im Hotel Scheve in Neustadt am Rübenberge vor einem bunt gemischten Auditorium aus Bundeswehr-Veteranen, Gewerkschaftern, Mitgliedern der Linkspartei und Friedensbewegten. Sein Thema: Die Bundeswehr-Auslandseinsätze im Allgemeinen und der Kosovo-Krieg von 1999 im Speziellen.

Heinz Loquai
General a.D. Heinz Loquai

Loquai: Kosovo-Krieg war vermeidbar

Loquais Auffassung zufolge war dieser Krieg vermeidbar. Die politisch Verantwortlichen hätten die deutsche Bevölkerung über die wahren Zusammenhänge getäuscht, um den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr nach 1945 zu rechtfertigen, erklärte der Offizier. Seiner Ansicht nach handelte es sich dabei um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.

Informationen aus Krisenregion widersprachen offizieller Darstellung

Von 1991 bis 1995 leitete Loquai das Zentrum für Abrüstungskontrolle der Bundeswehr. Dann wurde er zum Leiter des militärischen Beraterstabes bei der deutschen OSZE-Vertretung in Wien berufen. Der militärische Bereich der deutschen OSZE-Mission war eine der wichtigsten Schaltstellen für Informationen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Loquai saß an der Quelle. „Die Informationen, die wir aus den Krisenregionen bekamen und das, was die Politiker und die Medien darüber berichteten, passten einfach nicht zusammen“, sagte Loquai. Das damals verbreitete Schwarz-Weiß-Bild von den Serben als Tätern und den Albaner als Opfern habe der Öffentlichkeit die Möglichkeit verstellt, den Konflikt richtig zu begreifen, sagte er.

Verschärfung des Kosovo-Konfliktes durch kosovo-albanische UCK

Ab 1997 war es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK und den jugoslawischen Sicherheitskräften gekommen. Dabei seien etwa 250.000 Menschen aus ihren Dörfern und Städten vor den Kämpfen geflohen, referierte der Bundswehr-General a.D. Im Jahr 1998 erfolgte vor diesem Hintergrund eine Internationalisierung des Konfliktes. Beide Seiten wurden von den USA und der EU zu Friedensgesprächen aufgefordert. In einem Abkommen habe sich der jugoslawische Präsident Milosevic bereit erklärt, den größten Teil seiner Truppen aus dem Kosovo abzuziehen, berichtete Loquai. „Von serbischer Seite hat man sich an das Abkommen gehalten.“ Die UCK sei jedoch mit ihren Leuten in das Vakuum gestoßen, das durch den Abzug entstanden war, führte der General aus: „Sie besetzten Ortschaften und errichteten überall Straßensperren. Das hätte sich kein Staat gefallen lassen.“

Hat der Kriegseinsatz die humanitäre Katastrophe ausgelöst?

Die NATO habe den Krieg spätestens seit 1999 gewollt, meinte Loquai. Von März 1998 bis Februar 1999 habe es im Kosovo laut internen Informationen durch Nachrichtendienste und OSZE-Beobachter etwa 200 Todesopfer gegeben. Darunter serbische Polizisten und Soldaten, albanische Kämpfer sowie serbische und albanische Zivilisten. „200 Tote zuviel“, sagte Loquai, „aber das war nicht die humanitäre Katastrophe, von der die deutschen Politiker sprachen, allen voran Josef Fischer und Rudolf Scharping.“ Er fügte hinzu: „Der Vergleich zwischen Auschwitz und den Ereignissen im Kosovo, mit dem Fischer den Kriegseinsatz begründete, war eine ungeheuerliche Verharmlosung der nationalsozialistischen Judenvernichtung.“ Die wirkliche humanitäre Katastrophe sei durch den Kriegseinsatz erst ausgelöst worden, sagte Loquai.

Loquai empörte sich über „offensichtliche Lügen“ der ehemaligen Bundesregierung

Heinz Loquai hat seit 1999 zwei Bücher über den Kosovo-Krieg geschrieben. „Ich war empört über diese offensichtlichen Lügen und musste mich deshalb zu Wort melden“, sagte er. Er hält es für einen Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung der endgültigen Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik den Weg bereitet habe. Noch bis 1998 waren die meisten Politiker in der SPD und bei den Grünen gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland.

Loquai meint, dass der Kosovo-Krieg hätte verhindert werden können, wenn die NATO nicht einseitig Partei für die albanische Seite ergriffen hätte und die OSZE-Beobachtermission weiter geführt worden wäre. Loquai zeigte sich an diesem Abend entrüstet. Er sieht in den damaligen Vorkommnissen einen Skandal, der als solcher nie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Für den General a.D. ist die Bundeswehr seit dem Kosovo-Krieg nicht mehr die alte Verteidigungsarmee, in der er gedient hat. Auslandseinsätze, wie derzeit in Afghanistan, seien zur Normalität geworden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert