Über das Fasten und wozu es gut ist

Heute beginnt die Fastenzeit – und alle machen mit. Na ja, nicht alle! Aber zumindest werden diese kommenden 40 besonderen Tage vor Ostern mittlerweile auch in unserer protestantisch geprägten Region wieder deutlicher wahrgenommen als früher. Das ist zumindest mein Eindruck. Ich stamme aus einem evangelischen Elternhaus und in meiner Kindheit und Jugend war nie vom Fasten die Rede.
Mittlerweise existiert auch in der evangelischen Gemeinde meines Heimatortes eine Gruppe, deren Mitglieder sich im Rahmen der evangelischen Aktion „7 Wochen ohne“ über ihre Fastenerfahrungen austauschen. Feste Regeln gibt es dabei nicht. Jeder bestimmt selbst, worauf er in der vorösterlichen Zeit verzichten möchte: bei dem einen ist es der regelmäßige Fernsehabend, bei dem anderen sind es bestimmte Genussmitteln oder das gewohnte Konsumverhalten. Die Möglichkeiten sind vielfältig.


Fasten ist en vogue! Und mittlerweile ist das Fasten selbst bei vielen nicht-religiösen Menschen populär geworden. Fasten wird dabei immer mehr als eine Fitness- und Gesundheitskur betrachtet. Die Auswahl an kommerziellen Fastenkuren und Fastenkursen unter medizinischer Aufsicht ist groß und in der Regel verbunden mit sportlichen Betätigungen, Yoga oder Wanderausflügen. Man fastet, um sich von überschüssigen Pfunden zu entlasten, um sich und seinem Körper etwas Gutes zu tun, um wieder fit und leistungsfähiger zu werden. Man fastet, um sich von Giften im Körper zu befreien, um sich zu „entschlacken“.

Dabei ist der gesundheitliche Nutzen solcher Fastenkuren, zumindest wenn über einen bestimmten Zeitraum ganz auf feste Nahrung verzichtet wird, durchaus umstritten. Wissenschaftliche Belege für die Existenz von Schlacken, die angeblich durch das Fasten ausgeschieden werden, gibt es jedenfalls nicht. Der Körper scheidet unverwertbare Stoffwechselprodukte ohnehin ständig über Haut, Nieren, Darm und Lungen aus. Eine spezielle Diät ist dafür gar nicht notwendig. Im Gegenteil! Insbesondere bei Menschen mit Übergewicht bewirkt das Fasten erwiesenermaßen keine Senkung sondern eine Erhöhung der Schadstoffwerte im Blut. Der Grund:

Fettpolster „sind evolutionär nicht nur als Kältepuffer und Reserven für nahrungsärmere Zeiten gedacht, sondern auch als Zwischenlager für fettlösliche Gifte. (…) Gerade wenn Menschen häufig mit Umweltgiften Kontakt haben oder viel Alkohol trinken, sind die Leber sowie die anderen Entgiftungsorgane überfordert, sodass sie die Problemsubstanzen unverstoffwechselt im Fettdepot abspeichern. Eine Art ‚Fettquarantäne’ für Umweltgifte also. Doch diese Quarantäne wird durchlässig, wenn der Körper aufgrund einer Diät auf die Speckpolster zurückgreifen muss. Dann gelangen die Gifte ins Blut und von dort aus zu anderen Organen, wo sie Schaden anrichten können“. Quelle: Spiegel Online

Und doch versprechen sich viele Menschen durch das Fasten gewissermaßen eine Reinigung von Körper und Seele. Die Umwelt-, Öko- und Lebensmittelskandale der letzte Jahre haben sicherlich das ihre dazu beigetragen. Doch ich vermute, das Ganze hat noch andere Ursachen.
Die Menschen fühlen, dass sie von einer Leistungs- und Konsummaschenerie bestimmt werden, die ihnen im Prinzip nicht gut tut. Und es bleibt wohl bei vielen eine Ahnung davon zurück, dass sich die Sucht nach Geltung und Besitz über die tiefe Sehnsucht nach Liebe, Mitmenschlichkeit und Erkenntnis gelegt hat. Es bleibt eine Ahnung davon zurück, dass man sich auf Rollen festlegen lässt, die von Existenzangst und Konkurrenzdruck diktiert werden. Dass man in einer Gesellschaft lebt, in der soziale Anerkennung und Respekt nach dem Prinzip des Survivival of the Fittest verteilt werden, in einer Gesellschaft, die selbstsüchtig macht.
Je mehr die Menschen indes diesen Mustern verfallen, desto mehr entfernen sie sich von Gott. Und je mehr die Menschen sich von Gott entfernen, desto mehr entfernen sie sich von ihrem eigenen Urgrund. Die Gottesferne aber ist der Kern dessen, was gemeinhin als Sünde bezeichnet wird.
Der Begriff Sünde indes hat für die meisten Menschen einen seltsamen klang, wird verbunden mit altbackenen Moralvorstellungen und Zwangssystemen und gilt als eine wahre Spaßbremse. Es bleibt bei vielen aber wohl doch irgendwie ein schlechtes Gefühl haften, das manchmal als Gefühl der inneren „Verunreinigung“ empfunden wird. Der Mensch kann jedoch fasten soviel er will: sofern er sich nicht seinem Urgrund und damit Gott annähert, wird sich daran nicht viel ändern.

Ist also das Fasten vollkommen unnütz? Die Reformatoren haben es seinerzeit tendenziell so gesehen. Allerdings hatte zum Beispiel Luther nicht prinzipiell etwas gegen das Fasten, er lehnte jedoch die formalistische Festlegung auf bestimmte Zeiten und Speisen ab. Luther begriff das Fasten eher als ein individuelles Trainingsprogramm zur Selbstdisziplinierung:

„Wenn nun jemand fände, dass auf Fische hin sich mehr Mutwillen regte in seinem Fleisch als auf Eier und Fleisch hin, so soll er Fleisch und nicht Eier essen.“

Auch die beiden anderen großen Reformatoren, Zwingli und Calvin, hielten wenig von den kirchlichen Fastenvorschriften. Durch einen provokativen Verstoß dagegen, markierten sie ihren Bruch mit der römisch-katholischen Kirche. Am 9. März 1522, dem Inokavit, also dem ersten Sonntag der Fastenzeit, veranstalteten sie in Zürich ein demonstratives Wurstessen, das als Züricher Wurstessen in die Geschichte der Reformation eingegangen ist. Die Christen seien von allen menschlichen Geboten und Ordnungen freigestellt, nur Gottes Gesetzen sei unbedingt Folge zu leisten, meinte Zwingli. Und da das Fasten ein von Menschen gemachtes Gebot sei und keine Autorität der Bibel hinter sich habe, müsse man es auch nicht befolgen.

„Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl! (Quelle: REFORMIERT-INFO.DE)“

Richtig ist daran wohl immerhin, dass das Fasten als rein äußerliche Frömmigkeitsgeste wenig Sinn macht, ja geradezu kontraproduktiv ist. So mahnte schon Christus selbst:

“Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
17 Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht,
18 damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.” (Matthäus 6,17-18)

Dieses Christuswort indes richtet sich keineswegs gegen das Fasten als solches. Er selbst hat sich, wie das Evangelium bezeugt, fastend zum Gebet zurückgezogen, um seinem Vater nahe zu sein.
Der Sinn des Fastens und der Fastenzeit liegt mithin darin, dass wir uns im Gebet still werdend zurück auf Gott, auf unseren göttlichen Urgrund besinnen. Dass wir uns bewusst werden, wo wir uns gegen Gott, gegen unsere Mitmenschen und damit letztlich auch gegen uns selbst schuldig gemacht haben, selbstsüchtig, unsolidarisch, verletzend waren. Um schließlich unser Leben auf Gott hin neu zu justieren.
Durch den Verzicht in der Fastenzeit signalisieren wir, dass etwas in unserem Leben nicht in Ordnung ist, dass wir Dinge tun, die uns eigentlich schaden, auf die wir besser verzichten sollten. Aber der Verzicht nur für eine bestimmte Zeit nützt letztlich wenig, wenn wir daraus nicht auch etwas Bleibendes für unser weiteres Leben gewinnen. Darin liegt die eigentliche Herausforderung der Fastenzeit.

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