An diesem wolkenverhangenen Freitagnachmittag haben sich etwa 100 Menschen mit Israelfahnen am Kröpcke in der Stadtmitte von Hannover versammelt. Aufgerufen, unter der Devise „Humus* statt Hamas“ der Solidarität mit Israel Ausdruck zu verleihen, haben die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG), die Organisation IRON DOME Hannover, die Ezidische Akademie und andere. Anlass dazu gibt eine Phalanx israelfeindlicher Organisationen aus Linkspartei, SDAJ** und VVN-BdA***. Sie veranstalten in der Nähe des hannoverschen Hauptbahnhofs einen Aufmarsch, zu dem sie unter der Losung „Stoppt den Völkermord in Gaza“ mobilisiert haben. Vereint mit den Mördern der Terrororganisation Hamas machen sie Israel für den furchtbaren Krieg verantwortlich, der jetzt schon seit 20 Monaten unzähligen Menschen das Leben gekostet hat.
„Hamas trägt die Verantwortung“
„Niemand, der bei Verstand ist“, sagt Sabine von der DIG in ihrem Redebeitrag am Kröpcke, „leugnet, dass die Situation für viele Menschen in Gaza nach mehr als 56 Wochen Krieg schrecklich ist. Weite Teile der Städte sind zerstört, die Menschen mussten mehrfach fliehen, die Verteilung der Hilfsgüter funktioniert oft nicht – aber für all das trägt die Hamas die Verantwortung: Wenn die Hamas kapituliert, die Waffen niederlegt und die Geiseln freilässt, ist der Krieg zu Ende. Sofort!“
Seit fast zwei Jahren muss das am 7. Oktober 2023 von der Hamas angegriffene Israel diesen Krieg führen. Es ist ein Verteidigungskrieg, um die von einer mörderischen Terrororganisation ausgehende Gefahr zu bannen und um die in den Gazastreifen verschleppten, noch lebenden Geiseln aus der Gewalt ihrer Peiniger zu befreien. Seither haben die israelfeindlichen und antisemitischen Aufmärsche in allen größeren Städten zugenommen – auch in Hannover. Dabei hat fast die gesamte politische Linke des Landes, von den Grünen über die Linkspartei bis hin zur SPD, in den antiisraelischen, sogenannten „israelkritischen“ Chor eingestimmt. „Ich bin ein Grönlandkritiker“, sagt deshalb der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Michael Höntsch mit sarkastischem Ton in seinem Redebeitrag: „Mit dieser antiisraelischen Politik“ könne er nicht mehr konform gehen, insbesondere vor dem Hintergrund der von den Hamas-Schergen am 7. Oktober 2023 in Israel angerichteten Gräueltaten. Höntsch ist erst vor Kurzem aus der SPD ausgetreten, deren langjähriges Mitglied er war. Grund ist ein Schreiben der SPD-Bundestagsfraktion, worin gefordert wird, bestehende Kooperationen mit Israel auf Eis zu legen und Waffenexporte zu stoppen, mit denen Israel angeblich einen „völkerrechtswidrigen Krieg“ betreibe. Um mit sich ins Reine zu kommen, habe er die SPD verlassen müssen, erklärt der ehemalige SPD-Politiker in einem Gespräch.
Ein Blick in die Hölle
In seinem Redebeitrag auf der Kundgebung bringt er sein Entsetzen zum Ausdruck, das ihn befiel, als er die Bilder vom Massaker am 7. Oktober 2023 gesehen hat: „Es war wie eine Apokalypse aus Leichen“, ruft er bewegt. „Mädchen ohne Kleider. Obere Hälften, untere Hälften. Menschen, in zwei Hälften geschnitten. Menschen geschlachtet, einige enthauptet. Es gab Mädchen, deren Becken durchgebrochen waren – das Ausmaß der brutalen Vergewaltigung. Ihre Beine waren gespalten. Was für ein Blick in die Hölle. Also das war für mich ein Blick in die Hölle. In den Abgrund, in den wir uns alle nicht mit hineinziehen lassen dürfen. In dem wir auch nicht verzweifeln dürfen.“
Das Schicksal der Geiseln
Einige Kundgebungsteilnehmer halten Bilder von den verschleppten Hamas-Geiseln in die Höhe. Noch immer werden mutmaßlich 20 Verschleppte in den Terrortunneln der Hamas festgehalten. Nicht zuletzt auch ihnen gilt die Solidarität der Versammelten. Kämen sie frei, kapitulierte die Hamas – dann wäre der Schrecken vorbei. „Bei all den schrecklichen Bildern, die wir derzeit aus dem Gazastreifen zu sehen bekommen, sehen und erfahren wir nichts von dem Schicksal der Geiseln“, sagt Sabine von der DIG. „Nicht nur Israel und die USA, sondern auch die ägyptischen Vermittler sind frustriert und sagen: Es gibt keine Fortschritte, weil die Hamas blockiert. Die Terroristen sind diejenigen, die ihre eigene Bevölkerung bedenkenlos opfern, um an der Macht zu bleiben – für Bilder, die Mitleid erregen und davon ablenken sollen, was die Hamas-Terroristen wirklich wollen: Israel von der Landkarte tilgen und alle Juden ermorden. Das sagen sie übrigens auch ganz offen. Unsere Medien und auch unsere Politiker sollten das langsam ernst nehmen.“
Wer Menschlichkeit fordert, darf nicht wegsehen
Unter den Israelfahnen, Fotos und Plakaten ist auch eine Flagge der Gewerkschaft Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) zu sehen. „Wir haben eine klare Position zu Israel“, sagt Ines****, die Fahnenträgerin. Ines ist als Gewerkschaftssekretärin zur Kundgebung gekommen. Andere Gewerkschaften und Organisationen zeigen hier keine Präsenz. Pro-israelische Positionen sind marginalisiert. Einer der Gründe liegt wohl nicht zuletzt in der Berichterstattung der Medien, auch der großen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, über den Nahost-Konflikt. An diesem Freitagnachmittag in Hannover wurde sichtbar, was Teil eines größeren gesellschaftlichen Konflikts ist: Es geht nicht nur um Nahost, sondern auch um Haltung hierzulande. Wer Israel das Existenzrecht abspricht, wer die antisemitische Rhetorik der Hamas relativiert oder gar übernimmt, macht sich gemein mit einer mörderischen Ideologie – auch wenn er dies unter dem Deckmantel des „Antikolonialismus“ oder der „Menschenrechte“ tut. Die kleine Kundgebung am Kröpcke hat einmal mehr ein Zeichen gesetzt, insbesondere auch gegen das Vergessen der Geiseln. Gegen die Verdrehung von Täter und Opfer. Gegen die fortschreitende Normalisierung antisemitischer Narrative in deutschen Städten, auf deutschen Straßen und in deutschen Klassenzimmern. So wie es übrigens die mutigen Frauen und Männer vom Iron Dome Hannover fast jede Woche tun, wenn sie unter Polizeischutz am Rande der Pro-Palästina-Demos die Bilder der Ermordeten und Verschleppten hochhalten – und sich dabei beschimpfen, schmähen und bespucken lassen müssen.
Wer Frieden fordert, muss bei der Hamas anfangen. Wer Menschlichkeit fordert, darf nicht wegsehen, wenn Terror glorifiziert wird. Und wer meint, Israel kritisieren zu müssen, sollte sich fragen, ob seine Kritik noch Kritik ist – oder längst Delegitimierung. „Humus statt Hamas“ – das ist nicht bloß ein Wortspiel. Es ist der Versuch, Leben über Tod zu stellen. Kultur über Barbarei. Und Realität über ideologische Illusionen. Es ist ein Ruf zur Klarheit – in einer Zeit, in der allzu viele lieber schweigen oder sich wegducken.
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*Humus: Grundnahrungsmittel aus Kichererbsen im Nahen Osten. **SDAJ: Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend. ***VVN-BDA: Vereinigung Verfolgter des Naziregimes – Bund der Antifaschisten. ****Name geändert