(Der Beitrag zur Weinrallye Nr. 31 – Thema Faszination Wein) Ich möchte Weintrinker sein

Weinrallye Nr. 31 – Faszination Wein

Irgendwann Ende der Siebziger des letzten Jahrhunderts erstand ich bei „zweitausendeins“ eine Langspielplatte des Liedermachers Franz Josef Degenhardt. Die darauf zu hörenden Aufnahmen stammten aus einer Zeit, als Degenhardt gerade von seiner Radikalrevoluzzerphase Abschied genommen und sich wieder den etwas banaleren Dingen jenseits der Weltrevolution zugewandt hatte. Natürlich gab er sich immer noch links und äußerst systemkritisch, versteht sich, aber doch ein bisschen subtiler im Gebaren. Subtilität hin, Subtilität her, wer Degenhard kennt, weiß, dass alle seine Lieder irgendwie einen programmatischen Charakter haben. Und so natürlich auch jenes mit dem Titel „Ich möchte Weintrinker sein“, das auf dieser Platte zu hören war.

Wein gegen Deutschtümelei

„Ich möchte Weintrinker sein“, sang Degenhardt, „nicht ab Mitternacht „Frau-Wirtin-Verse“ grölen, kein Soldatenlied und nicht den „Tag des Herrn“, und nicht vom „Mittelabschnitt“ irgendwas erzählen, und nichts von Hungerpest in Hongkong hör´n“. Ja genau, das war‘s. Musste man nicht unbedingt Weintrinker sein, wenn man nichts zu tun haben wollte mit dieser grobschlächtigen und reaktionären teutonischen Bierseligkeit, den skatkloppenden Stammtischen, an denen Nazisprüche, Chauvinismus der übelsten Sorte und selbstgefällige Deutschtümelei zu Hause waren, an denen alte Kameraden sich an ihre schönen Zeiten bei der Waffen-SS zurückerinnerten und an denen man sich alle und alles, was allein schon irgendwie intellektuell anmutete, stante pede ins Arbeitslager wünschte. Nein, wer nicht so eine nach Bier stinkende Dumpfbacke werden wollte, musste Weintrinker sein und dem Leben mit einem Glas Rotem oder Weißem zuprosten.

Anspruch und Wirklichkeit

Weintrinker zu sein, das war also eine Frage des Stils. Andererseits blieb es ein doch eher theoretisches denn ein praktisches Unterfangen. Das Problem fing schon in der linksalternativen Stammkneipe an. Wer sich in derartigen Lokalitäten der Siebziger oder Achtziger einmal ein Glas Wein bestellt hat, weiß wovon hier die Rede ist. Der dort ausgeschenkte Weng de Peng zog einem aber auch derart Mund und Gaumen zusammen, dass man hernach erst einmal wieder mit einer Coca Cola ausspülen musste. Und einen Wechsel der Hausmarke zu verlangen: Nun, erstens wollte man nicht snobistisch erscheinen in jener linksalternativ bewegten Zeit zwischen 68er-Studentenbewegung und Anti-Atom-Protest, zwischen Nicaragua-Solidarität und Hausbesetzerszene, und zweitens wäre das Anliegen wohl auf großes Unverständnis gestoßen. Denn kaum einer in diesem Dunstkreis hatte von Wein wirklich eine Ahnung. Also blieb es doch weitgehend beim Biertrinken. Ab und zu wurden ein paar Flaschen Bordeaux oder Chianti aus dem Supermarkt mit nach Hause geschleppt, ohne dass man sich genauer um deren Qualität und Herkunft kümmerte. Ja, insbesondere Chianti-Trinken war hip, am besten sommernächtens im Freien jenen aus den Eineinhalbliter-Flaschen mit Strohkorb drumherum, der ländliches Leben und Ursprünglichkeit simulierte. Man sieht also, Weintrinker sein zu wollen und wirklich einer zu sein, das waren und sind vielleicht noch immer zwei ganz grundverschiedene Dinge.

Weinreben
Foto: Beinsen (Weinberg im Rheingau)

Bis der Weg wirklich in Richtung des Weintrinker-Werdens eingeschlagen wurde, sollte noch eine Weile vergehen. Heute kann ich sagen: Weintrinker ist man nicht einfach so, da reicht es nicht, regelmäßig mehr oder weniger Wein zu verkonsumieren. Im Vordergrund steht eher, welches Verhältnis man zum Wein entwickelt. Wer Weintrinker sein will, sollte sich auf den Wein wirklich einlassen können, quasi den Wein in sich sprechen lassen, eine ganz persönliche Beziehung zu ihm aufbauen.

Die Läuterung

In diesem Fall leitete eine Reise nach Italien die Wende ein. Zusammen mit meinem Bruder ging es auf Wandertour durch das Chiantigebiet. Chianti, klar, das war, wie wir wissen, dieses Zeug aus den Eineinhalbliter-Korbflaschen, das beispielsweise für drei Mark bei SPAR zu haben war. Zu unserer Verwunderung gab es im Chianti allerdings keine Eineinhalbliter-Korbflaschen, es gab in den Weinkellern eigentlich überhaupt gar keine Korbflaschen und Wein für umgerechnet drei Mark – der Euro war noch fern – gab es dort schon gar nicht. Das mutete uns seinerzeit sehr sonderbar an. Da war man schon ins Epizentrum des Chiantis gereist, und dann so etwas. Nun ja, mit leeren Händen wollten wir dann doch nicht nach Hause kommen. Und so erwarben wir einige Fläschen aus dem eher unteren Preissegment, die sich auf umgerechnet etwa 15 bis 20 Deutsche Mark pro Stück beliefen und verstauten sie in unseren Reisetauschen. Vor Ort selbst probierten wir nur wenig Wein und unter dem Wenigen wird wohl auch kein besonderes Highlight dabei gewesen sein.
Als ich dann allerdings etwas später – wieder daheim angekommen – eine der mitgebrachten Flaschen entkorkte, wurde ich unerwarteter Weise quasi urplötzlich vom Geist des Weins erfasst. Ich erinnere mich noch nach nunmehr etlichen Jahren: Schon aus der geöffneten Flasche und beim Einschenken duftete dieser Chianti kräftig nach dunkelroten Beeren, beim Trinken hatte er eine umwerfend intensive und kräftige Frucht, ohne dabei auch nur einen Anflug von Saurem oder Bitterem zu zeigen. Zumindest meiner Erinnerung nach war es ein perfekter Wein, ein Wein, in dem sozusagen noch der Weinstock atmete. Leider habe ich mich in meiner damaligen Naivität nicht besonders um Jahrgang, Winzer und genauem Herkunftsort gekümmert, jedenfalls ist daran keine Erinnerung mehr vorhanden. Aber die Erinnerung an den fulminanten Eindruck, den dieser Tropfen hinterlassen hat, ist immer noch sehr präsent. Erst nach diesem Erlebnis begann ich, mich wirklich für Wein zu interessieren und mich damit sporadisch näher zu beschäftigen.

Guter Wein – immer auch ein kleines Kunstwerk

Manche meinen ja, das es für jeden Menschen einen ganz bestimmten Wein gibt, mit dem die oder der Betreffende perfekt harmoniere. Wer weiß, vielleicht ist es in meinem Fall dieser damals aus Italien mitgebrachte Tropfen gewesen, dessen Namen ich vergessen habe. Wie auch immer, sich den Wein zu erschließen, ihn in seinen Möglichkeiten, Nuancen und Erfahrungsdimensionen kennenzulernen, ist ein Prozess; man muss sich dafür Zeit nehmen und manchmal macht es sogar ein wenig Arbeit. Doch die wird durch sinnliche Genüsse reich belohnt. Den Rebensaft in seinen ganz unterschiedlichen aromatischen Ausprägungen, seinen von Region zu Region, Jahrgang zu Jahrgang unterschiedlichen Geschmackstönen und -variationen kennenzulernen und die eigenen Vorlieben auszuloten, ist wohl – vielleicht sollte man auch sagen, zum Glück – etwas Unabschließbares.
Muss an dieser Stelle noch betont werden, dass Wein nicht nur ein Getränk, sondern insbesondere dann, wenn der Winzer gute Arbeit geleistet hat, immer auch ein kleines Kunstwerk ist? Der vergorene Saft der Traube bewahrt bestenfalls die Seele der Frucht, der er entstammt, in sich auf, das Ensemble von Klima, Wetter, Boden, Pflege und Lage der Weinrebe. Um es mal etwas kitschig-prosaisch zu sagen: Im Wein materialisiert sich ein Stück Welt. Nicht von ungefähr hatte der Wein von jeher eine herausragende Bedeutung in der hellenistisch-jüdisch-christlichen Zivilisation inne: im Verständnis der katholischen Kirchen im Christentum ist er gar jenes Medium, in dessen Substanz Christus nach den priesterlichen Wandlungworten in der Eucharistiefeier real präsent ist.
In eigener Sache kann ich sagen, dass ich mich immer noch eher auf dem Weg des Weintrinker-Werdens begreife, als von mir behaupten zu wollen, bereits Weintrinker zu sein. Das Weinblättchen soll dabei auch als Medium dienen, Weininteressenten an diesem Prozess teilhaben zu lassen. Der Blog soll insbesondere auch für jene interessant sein, die ab und zu einfach nur mal ein gutes Tröpfchen trinken wollen. Den Weincracks in der Szene hat das Weinblaettchen wahrscheinlich wenig Neues zu erzählen. Weinblaettchen ist eher der Weinblog fürs Volk. Wir, der Herausgeber und inzwischen einige sporadisch schreibende Mitstreiter, setzen uns in diesem Zusammenhang dafür ein, die allgemeine Weinkultur in diesem Land zu verbessern. Diese Mission ist erst dann beendet, wenn die marketing-gestylte Kampftrinkerplörre, die in den Supermärkten massenweise vor sich hin dümpelt und gar auch noch Absatz findet, unverkäuflich wird. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es gibt auch im Supermarkt guten Wein, und es gibt ihn auch unter 15 Euro – man muss ihn aber erst einmal finden.
Fazit: Dem Wein bin ich gefolgt, um ein besserer Mensch zu werden. Dabei habe ich gelernt, mich mit ihm um seiner selbst Willen zu beschäftigen. Weintrinker ist man aus Passion. Sind Weintrinker die besseren Menschen? Wahrscheinlich nicht. Das Lied von Franz-Josef Degenhardt gefällt mir aber immer noch!

Franz-Josef Degenhardt

Ich möchte Weintrinker sein

Ich möchte Weintrinker sein,
und nicht immer diese hellen Schnäpse saufen,
nicht von Dingen reden, die nur mich angehn,
mir nicht für zwei Gläser Bier Verständnis kaufen,
nicht mit jenen streite, die am Tresen stehn.

Ich möchte Weintrinker sein,
bei´nem herben Roten oder leichten Weißen
um´ne Runde spielen, nach der keiner fragt,
ein paar Witze über den Verlierer reißen,
der ganz einfach nur darüber lacht.

Ich möchte Weintrinker sein,
nicht beim Schnaps um Zehntel Skat mit Hirschbock spielen,
wo man gierig Geld in seine Tasche wischt,
nicht dem nachbarn heimlich in die Karten schielen,
ihn nicht schlagen, wenn er sich zwei Asse mischt.

Ich möchte Weintrinker sein,
mit Kumpanen lachend ein paar Lieder singen,
die sich um Trinken, Mädchen und um Liebe drehn,
nebenbei ein bisschen reden von den Dingen,
die am tag in einer kleinen Stadt geschehn.

Ich möchte Weintrinker sein,
nicht ab Mitternacht „Frau-Wirtin-Verse“ grölen,
kein Soldatenlied und nicht den „Tag des Herrn“,
und nicht vom „Mitelabschnitt“ irgendwas erzählen
und nichts von Hungerpest in Hongkong hör´n.

Ich möchte Weintrinker sein,
auf dem nachhauseweg wie Kinder darauf achten,
dass man beim Bürgersteig nicht auf die Ritzen tritt,
und im Bett dran denken, wie die Mädchen lachten,
und im Schlaf noch lachen über meinen Schritt.
Ich möchte Weintrinker sein.

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