„Sicheres Herkunftsland“

Arben H.* aus Kosovo ist stinksauer. Die südserbische Provinz Kosovo – die sich im Jahr 2008 für unabhängig erklärte – gilt neben Albanien und Montenegro jetzt als sicheres Herkunftsland. So wurde es im Rahmen der neuen Asylgesetze Ende Oktober vom Bundestag beschlossen. Alle Asylanträge von Flüchtlingen aus dieser Region sollen im Eilverfahren in Erstaufnahmeeinrichtungen abgefertigt und die Betroffenen dann so schnell wie möglich zurück geschickt werden.

„Werden wir jetzt alle in Handschellen abgeführt wie Verbrecher?“

„Werden wir jetzt alle in Handschellen abgeführt wie Verbrecher?“, fragt Arben in perfektem Deutsch. Er befürchtet, jetzt in so ein Erstaufnahmelager verfrachtet zu werden. Das wird in seinem Fall erst einmal nicht passieren: Der Mann aus dem Kosovo ist bereits seit ungefähr einem Jahr wieder in Deutschland und hat einen Antrag bei der Härtefallkommission des Niedersachsen Landstags gestellt. Dort werden seine Integrationsleistungen und seine familiäre Verwurzelung in Deutschland geprüft. Kommt die Kommission zu einem positiven Ergebnis, kann Arben aller Voraussicht nach in Deutschland bleiben. Er hat Glück, dass sein Antrag überhaupt noch begutachtet wird. Allen Kosovo-Flüchtlingen, die seit Oktober nach Deutschland kommen, soll dieses Chance von vornherein verwehrt bleiben.
Arben will weg von den Sozialleistungen und gleichzeitig seine Aussicht auf ein Bleiberecht verbessern. Deshalb sucht er seit Monaten verzweifelt nach einer Arbeit. Inzwischen hat er hat auch schon Firmen gefunden, die ihn einstellen wollten. Eine Arbeitserlaubnis wurde ihm jedoch nicht erteilt: Mal handelte es um Zeitarbeitsfirmen – Zeitarbeit ist Flüchtlingen nicht erlaubt – oder es gab bevorrechtigte Bewerber mit deutschem beziehungsweise EU-Pass. Arbens Ärger ist verständlich: Einerseits soll er sich integrieren, andererseits wird aber genau das durch die geltende Rechtslage erschwert.Der Mann aus dem Kosovo kam 1972 als Kind jugoslawischer Arbeitsmigranten nach Deutschland. Er wuchs in Lüneburg auf und machte dort seinen Hauptschulabschluss. Bevor er eine Berufsausbildung beginnen konnte, kehrte er zusammen mit seinen Eltern zurück ins damalige Jugoslawien. Als im Jahr 1989 die Balkankriege ausbrachen, kam er wieder nach Deutschland. Hier absolvierte er eine Ausbildung und heiratete. Eine Tochter kam zur Welt. Dann geriet Arben in eine Krise: Seine Ehe scheiterte, eine Arbeit fand er nicht mehr, einige Jahre musste er von Sozialleistungen leben. Dadurch verlor er sein Bleiberecht und wurde im Jahr 2005 von den Behörden zurück ins Kosovo geschickt.

Opfer ethnischer Säuberiungen

Dort hatte inzwischen ein Krieg stattgefunden, Rückkehrer wie Arben waren nach den ethischen Säuberungen durch Angehörige der albanischen Bevölkerungsmehrheit nicht willkommen. Arben gehört zur Minderheit der sogenannten Balkan-Ägypter, die sich als Nachfahren von Migranten aus dem Nil-Delta betrachten, die zur Zeit Alexanders des Großen auf den Balkan gekommen sind. Von den Angehörigen der albanischen Bevölkerungsmehrheit werden sie oft herablassend als „Zigeuner“ bezeichnet. Nach dem Kosovo-Krieg waren sie wie Serben, Roma oder andere Bevölkerungsminderheiten tätlichen Übergriffen und Vertreibungen ausgesetzt. „Es geht uns schlecht im Kosovo“, sagt Arben: ob bei Arbeit oder humanitärer Hilfe, ‚wir Schwarzen’ kriegen meistens nichts“, berichtet er. „Schauen Sie sich das an“, sagt Arben und zeigt die Bilder seiner Behausung, in der er zehn Jahre leben musste: So ist das in der Republik Kosovo.“ Die Bilder zeigen ein altes Haus mit bröckelndem Putz, schimmeligen Wänden in den Innenräumen, einfallendem Dach, morschen Balken, gammeligen Fußboden. „Die Renovierung würde viel Geld kosten“, sagt Arben. Er habe bei den Behörden um Hilfe gebeten, erzählt er, geschehen sei nichts, er könne ja bei den Deutschen oder Franzosen fragen.
Als Angehöriger einer Minderheit diskriminiert, ohne regelmäßige Arbeit, lebend in einem einsturzgefährdetem und schimmligen Haus ohne Strom und Heizung, so ist er im Dezember 2014 erneut nach Deutschland gekommen. Arben kam in der Hoffnung, hier den Kontakt zu seiner Tochter wieder herstellen und sich neue Lebensperspektiven schaffen zu können. Im Kosovo ist er Opfer eines Krieges, der jetzt vielleicht nicht mehr mit Waffen, dafür aber mit den Mitteln der Verelendung gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen geführt wird.
„Zurück in den Kosovo, das wäre mein Todesurteil“, sagt Arben. Einstweilen ist er zum Warten verdammt. Zu einem Zustand zwischen Hoffen und Bangen auf eine Change in Deutschland, das er als sein eigentliches Heimatland ansieht.

Prekäre Unabhängigkeit

Ethnische Diskriminierung, Armut und Verelendung großer Bevölkerungsgruppen, insbesondere der ethischen Minderheiten, organisierte Kriminalität, Korruption und Vetternwirtschaft der politischen und wirtschaftlichen Eliten, das ist die Realität im sogenannten „sicheren Herkunftsland“ Kosovo. Deutschland hat daran einen nicht geringen Anteil, wirkte es doch dabei mit, das Kosovo in eine prekäre Unabhängigkeit zu bomben. Mit den Opfern dieser Politik, wie den sogenannten Westbalkanflüchtlingen, will man lieber nichts zu tun haben.
*Name geändert

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