Red Pepper Greek Salad oder: Wie gehts weiter in Griechenland?

Ganz großes Kino

Das war schon ganz großes Kino, was sich da am Freitag den 30. Januar 2015 in Athen abgespielte. Gianis Varoufakis, Finanzminister der vor einer Woche neu gewählten Regierungskoalition aus Linksbündnis Syriza und der als rechtspopulistisch bezeichneten Partei der Unabhängigen Griechen, setzte den derzeitigen Chef der sogenannten Eurogruppe, Jeroen Dijsselbeom, faktisch vor die Tür: „Unsere Regierung wird mit größtem Engagement mit der Eurozone, der EU und dem IWF zusammenarbeiten – aber mit der Troika, die ein Programm umsetzen will, dessen Idee wir als antieuropäisch betrachten und die auch das europäische Parlarment für nicht demokratisch legitimiert hält, wollen wir nicht zusammen arbeiten“, erklärte Varoufakis auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Mit sichtlich frustrierter Miene schmiss sein Verhandlungspartner den Kopfhörer für die Simultanübersetzung auf den Tisch und „ergriff die Flucht nach vorn“, wie eine Tagesschau-Sprecherin kommentierte. Dijsselbeoms Flucht nach vorn äußerte sich im Wesentlichen darin, zeitnah den Ausgang des Versammlungsortes anzusteuern.

Griechische Treppe
Griechenland: aufwärts oder abwärts?

Eine Neue Konferenz mit Verhandlungen über einen Schuldenschnitt sei nicht zu erwarten, ließ er seine Gesprächspartner noch knapp wissen, denn eine solche Konferenz gäbe es ja bereits: die Eurogruppe.
So manchem Griechen, Spanier oder Portugiesen, die seit Jahren von der als Konsolidierung bezeichneten Politik des sozialen Kahlschlags unter EU-Regie kujoniert wurden, mag bei diesen Szenen das Herz aufgegangen sein.

Rudert Tsipras schon wieder zurück?

Allerdings ruderte Ministerpräsident Alexis Tsipras schon am gleichen Abend zumindest halbwegs wieder zurück, wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.) zwei Tage später berichtete: Laut der Zeitung vorliegenden Informationen „rief er am späten Abend sowohl Juncker als auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an, um die Äußerungen seines Finanzministers zu relativieren. ‚Vielleicht bringt Alexis Tsipras noch mal Ordnung in seine Regierung’ sagte Schulz der F.A.S.“

Gelassenheit in Brüssel

Während aus den Kreisen der deutschen Regierungsparteien beteuert wird, man lasse sich nicht erpressen, neues Geld gäbe es erst dann, wenn die Griechen zur Fortsetzung der bisherigen Sparpolitik bereit seien, scheint derzeit sowohl in Brüssel als auch auf Seiten der großen Meinungsführer in der deutschen Medienlandschaft vorerst noch Gelassenheit zu herrschen. Tsipras und seine Crew werden sich in den nächsten Monaten schon die Hörner abstoßen und spätestens dann wieder kompromissbereit sein, wenn dem Land das Geld ausgeht.
Und das wird im Juli 2015 der Fall sein. Zu diesem Termin werden nämlich einige griechische Staatsanleihen im Wert von rund 3,5 Milliarden Euro fällig. Kann Griechenland dann nicht liefern, droht der Bankrott. Und mit einer Staatspleite werden auch die hehren Regierungsziele der neuen griechischen Regierung Makulatur. Wohin oder wogegen sich der griechische Volkszorn wenden wird, wenn Syriza scheitert, mag man sich derzeit noch gar nicht ausmalen. Dann droht Griechenland ernsthaft zu einem failed state zu werden, mit allen Verwerfungen, die wir aus solchen Staatsruinen kennen: Moldawien, Kosovo oder die Ukraine lassen grüßen.

Rolle rückwärts?

Zu erwarten ist aber wohl zunächst eher die Rolle rückwärts der Tsipras-Crew.
Die Griechen haben Alexis Tsipras und sein Linksbündnis gewählt, weil er ihnen ein Ende des Sparkurses und die Rücknahme der schlimmsten Reformen der letzten Jahre versprochen hat. „Dazu gehört, dass die neue von der Linkspartei Syriza angeführte Regierung Tausende im Zuge der Sparmaßnahmen entlassene Staatsbedienstete wieder einstellen will. Dies teilte Vize-Verwaltungsreformminister Georgios Katrougalos im griechischen Fernsehen mit. Die Maßnahme war ein Wahlversprechen des Linksbündnisses Syriza. „Wir werden die Entlassungen rückgängig machen“, sagte Katrougalos (Spiegel-Online)

SED-Schätze für Griechenland?

Fraglich ist allerdings, ob die neue Regierung ihre Versprechen auch realisieren kann. Genauer gefragt: Woher soll die Kohle nehmen, die Griechenland doch jetzt schon seit Jahren immer scharf an der Staatspleite vorbei schrammt und ohne die Euro-Stütze (die man einst wohl Merkel V nennen wird) schon längst pleite wäre. Wird Katja Kipping die Schatztruhe öffnen und die beiseite gebrachten SED-Milliarden an die Griechen spenden?
Im Gespräch mit EU-Parlamentspräsident Schulz kündigte Tsipras an, Steuerflucht und Korruption in Griechenland radikal zu bekämpfen zu wollen. In der Tat kosten diese Übel dem griechischen Staat Jahr für Jahr Milliardesummen. Allein das Eintreiben der steuerlichen Außenstände und eine Eindämmung des Steuerbetrugs brächte schätzungsweise jährlich rund 50 Milliarden Euro in die Staatskasse. Eine effektive Fiskalpolitik könnte die drohende Zahlungsunfähigkeit des Staates mit einem Schlag abwenden, wird gemunkelt. Die Frage ist, ob Syriza und die Unabhängigen Griechen wirklich in der Lage sind, die Moneten einzutreiben und den tief verankerten Klientelismus in Staat und Verwaltung zu beseitigen, oder ob sie nicht über kurz oder lang selbst ein Teil davon werden.

Griechenland ist ein Agrarland

Das eine andere Fiskalpolitik das Problem auf Dauer lösen kann, ist ohnehin fraglich. Griechenlands Ökonomie ist den Wirtschaftsriesen wie etwa Deutschland strukturell dermaßen unterlegen, dass ein Anschluss an deren Standards auch unter günstigen Bedingungen kaum zu erwarten ist. Denn es fehlt schlicht und einfach die industrielle Basis. Hellas gehört zu den Ländern, deren Wirtschaft eher durch kleine- und mittlere Betriebe, sowie in bestimmten Regionen durch eine weithin agrarische Wirtschafts- und Lebensweise geprägt ist: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin konstatiert in Bezug auf Griechenland: „Die Industrie ist (…) nur sehr klein und deren Absatz im Wesentlichen auf den Binnenmarkt ausgerichtet. Es dominiert die Produktion überregional nicht handelbarer Güter, und die Betriebsstruktur des verarbeitenden Gewerbes ist stark von Klein- und Kleinstbetrieben geprägt. Große Unternehmen sind kaum zu finden. Damit hängt zusammen, dass es auch wenig an höherwertigen Unternehmensnahen (sic) Dienstleistungen gibt. Die kleinteilige Unternehmensstruktur zieht sich fast durch die gesamte griechische Wirtschaft, denn schon auf zwei Arbeitnehmer kommt ein Selbständiger – einschließlich des öffentlichen Sektors.“
Solange Länder wie Griechenland ihre Wirtschaft durch Währungsabwertungen auf den internationalen Märkten einigermaßen konkurrenzfähig halten konnten, ließen sich die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen tendenziell ausgleichen. Innerhalb eines gemeinsamen Währungsraumes ist diese Struktur jedoch äußerst krisenanfällig. Im Fall der Eurozone: Die Waren und Dienstleistungen der weniger produktiven und wirtschaftlichen Regionen verteuern sich und büßen ihre Konkurrenzfähigkeit ein. Dabei passiert das, was wir hier einmal als den Jugoslawieneffekt bezeichnen wollen: Die Diskrepanz zwischen starken und schwachen Wirtschaftszonen nimmt zu und führt irgendwann nicht nur zur wirtschaftlichen sondern auch zur politischen Krise.

Ungleiche Entwicklungen haben sich verfestigt

Für Griechenland wird es daher mittelfristig nur zwei einigermaßen erfolgversprechende Optionen geben.

  • Will das Land in der Eurozone bleiben, wird es dauerhaft Transferzahlungen von den wirtschaftlich potenteren Staaten der Eurozone benötigen. Ansonsten wird die Finanzkrise irgendwann zu einer politischen Krise noch gar nicht vorstellbaren Ausmaßes führen.
    Es ist strukturschwachen Regionen in einer gemeinsamen Wahrungs- und Wirtschaftzone in den letzten 100 Jahren in keinem einzigen Fall gelungen, zu der Wirtschaftskraft der wirtschaftsstärkeren Zentren aufzuschließen. Mit Ausnahme Ostdeutschlands vielleicht – aber auch der Osten Deutschlands liegt immer noch gegenüber dem Westen zurück. Und das, obwohl seit Anfang der 1990er Jahren über zwei Billionen Euro dorthin gepumpt wurden. Das in etwa sind die Größenordnungen, die Griechenland in den nächsten 20 Jahren brauchen wird, will es Mitglied der Eurozone bleiben und auch nur im Mindesten europäische Sozialstandards aufrecht erhalten wollen. Und dabei ist dieser Betrag wahrscheinlich eher noch zu weit unten angesetzt. Das aber traut sich kein Politiker den Menschen zu sagen – und zwar weder in Deutschland noch in Griechenland.
  • Die zweite Möglichkeit wäre ein kontrollierter Ausstieg aus dem Euro. Der würde es Griechenland erlauben, mittelfristig wieder eine eigene Währungs- und Wirtschaftspolitik zu betreiben, die das Land zumindest ansatzweise konkurrenzfähig gegenüber Ländern wie Deutschland machen könnte. Aber auch dafür bräuchte Griechenland Unterstützung, damit die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen einer Währungsumstellung einigermaßen abgefedert werden könnten, ökonomisch und sozial.

Das bedeutet im Endeffekt aber: so sehr einem das linke Herz gemeinsam mit Katja Kipping und Gregor Gysi auch aufgehen mag angesichts des Wahlerfolges von Syriza – ¬ letztlich streuen auch Alexis Tsipras und sein cooler Finanzminister Gianis Varoufakis den Leuten Sand in den Augen. Denn nur durch ein paar wirtschaftliche Kurskorrekturen wird sich dem Land kein neuer Wohlstand bescheren lassen.
Das die Griechen in den nächsten Jahren mindestens zwei Billionen Euro brauchen, um einigermaßen über die Runden zu kommen, traut sind kein Politiker dem deutschen Stammtisch zu beichten. Wahrscheinlich wird daher letztlich doch weiter gewurstelt. Meine Prognose kurz bis mittelfristig: Syriza knickt ein und lässt sich ein neues Spardiktat aufdrücken, unter einem etwas anderen Namen.
Und mittel bis langfristig wird Europa wohl am Euro zerbrechen.
Hoffentlich irre ich mich! Wer hält dagegen?

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