Mach mich nich an Alder! Oder: Konflikte in Canidistan

„Warum reagieren Hunde eigentlich immer aggresiv, wenn sie fremden Artgenossen begegnen?“ Diese Frage wurde mir vor einiger Zeit von einem Bekannten gestellt. Der Mann hat wenig bis gar nichts für Caniden übrig und wollte im Grunde lediglich seiner Auffassung Ausdruck verleihen, dass Hunde ohnehin nur Stress verursachen. Soweit, so schlecht.

Du deins – ich meins!

Natürlich wissen wir: Wenn sich fremde Hunde begegnen, kommt es keineswegs automatisch zu aggressiven Reaktionen. Allerdings: Treffen zwei sich unbekannte geschlechtsreife Rüden oder Hündinnen aufeinander, kann es schon mal etwas knistern.. Denn schließlich stehen sich hier zwei potenzielle Konkurrenten gegenüber. In Ur-Canidistan, der Welt der Wölfe in der sogenannten freien Natur, gehen sich fremde Rudel lieber aus dem Weg, um Konflikte um Ressourcen und Reviere zu vermeiden. Übrigens: Würde es da ähnlich häufig, ähnlich brutale Konflikte geben wie unter konkurrierenden Menschengruppen, Nationen, Ethnien, Rockergruppen oder Streetgangs etwa, hätten sich die Wölfe wahrscheinlich schon gegenseitig ausgerottet. Sie tun das nicht, ein Hinweis darauf, dass sie in mancherlei Hinsicht um einiges pfiffiger sind als die Menschen.
Wolfsaugen

Ähneln sich: Prima Primaten und coole Caniden

Im Canidistan unserer Hunde ist die Lage anders. Hier bestimmen wir Menschen wo es lang geht und wem wir dabei potenziell begegnen. Dabei bringen wir unsere vierbeinigen Freunde immer wieder in Situationen, die sie, würden sie selbst bestimmen können, wohl eher vermieden: Nämlich in Kontakt mit möglichen Kontrahenten. Caniden organisieren sich in sozialen Verbänden, ganz so, wie es auch die meisten Primaten, darunter wir Menschen, tun. Diese Gruppen beanspruchen Reviere und die dort vorhandenen Ressourcen hinsichtlich Nahrung und Fortpflanzung, et cetera pp. Sie tun das um ihres Überlebens willen. Kommen ihnen dabei andere Gruppen in die Quere, kann es schnell Ärger geben. Wenn eine Schimpansengang einen fremden Artgenossen im eigenen Revier aufstöbert, gibt es für den Ärmsten selten ein Entkommen. Menschen verhalten sich kaum anders, es sei denn, ein rechtliches Regelwerk und die notwendigen Mittel zu dessen Durchsetzung hegen den Umgang der Menschen miteinander auf weitgehend friedliche und zivilisierte Formen ein. Wo es dieses Regelwerk nicht gibt, sieht es böse aus. Versuch mal, ohne Schutz einer bewaffneten Gruppen allein von einem Ende Mogadischus zum anderen zu gelangen. Es würde dir wahrscheinlich nicht gut bekommen.

Täuschen, tarnen und verpissen

Aber zurück nach Canidistan. Unsere Hunde haben ja in der Regel gar keine Chance, einen ausreichend großen Bogen um potenzielles Feindesland zu machen. Im schlimmsten Fall setzen wir unsere Freunde bei einem Spaziergang gleich mehrmals harten Stresssituationen aus. Die meisten Hunde haben gelernt, damit umzugehen. Nebenbei bemerkt: Manchmal kann es allerdings auch ganz sinnvoll sein, wenn wir – im Sinne von „Der Klügere gibt nach“ – das Spazirie-Revier wechseln, um unseren Freunden zuviel Aufregung zu ersparen. Nun haben unsere Hunde von ihren Ahnen, den Wölfen, ein großes Repertoire an potenziellen Verhaltensmöglichkeiten geerbt, um auch aus Konfliktsituationen heil wieder heraus zu kommen. Das reicht vom Drohen über das Imponieren bis zum Beschwichtigen und Unterwerfen und ist ursprünglich dazu gedacht, Konflikte innerhalb des Rudels zu managen, ohne das gleich Blut fließen muss. Unsere Hunde bedienen sich solcher Verhaltensweisen auch gegenüber rudelfremden Artgenossen. Ganz schön pfiffig, die Burschen. Das ist der Grund, warum es bei der Begegnung beispielsweise zweier sich fremder geschlechtsreifer Rüden zwar manchmal zu allerlei Macho-Gehabe, Knurren sowie hier und da zu kleinen Schaukämpfen kommen kann, selten jedoch zu wirklich gefährlichen Keilerein.

Frieden will gelernt sein

Aber: Caniden entwickeln sich durch Lernen zu sozialen Wesen. Die Verhaltensmöglichkeiten zur Konfliktregelung müssen also von jedem Individuum immer wieder neu angeeignet werden. Darum ist der Kontakt zu anderen Hunden, und zwar sowohl gleichaltrigen als auch älteren, gerade im Welpenalter so immens wichtig. Denn wenn ein Hund nicht gelernt hat, mit Konkurrenz- und Konfliktsituationen ausgleichend umzugehen, kann er anderen gefährlich werden. Das unterscheidet Hunde übrigens in nichts von uns Menschen! Hinzu kommt, dass einigen Hundeschlägen bestimmte Verhaltensmodi zur friedlichen Konfliktregelung bewusst abgezüchtet wurden, um sie aggressiver und tauglicher für Hundekämpfe bis aufs Blut zu machen. Pitsbulls und ähnliche Rassen etwa wurden herangezogen, um sie in Show-Kämpfen für Geldwetten einzusetzen, in denen sie sich gegenseitig zerfleischen sollten – und teilweise immer noch sollen. Entgegen dem Euphemismus vieler Leute in der Hundeszene gibt es tendenziell gefährliche Kampfhunde durchaus und es ist richtig, ihre Haltung durch gesetzliche Auflagen einzuschränken und zu erschweren.

„Die machen das schon unter sich aus“

Manchmal sind wir mit unseren vierbeinigen Freunden unterwegs, begegnen dabei anderen Hunden und merken plötzlich: Oh, oh, hier könnte es Stress geben. Gehen wir mal davon aus, dass unser Hund gut sozialisiert ist und von ihm keine Gefahr ausgeht. Wenn es sich anders verhält, sollten wir ihm eh einen Maulkorb verpassen und/oder ihn an der Leine führen. Gefahr könnte im Verzug sein, wenn sich etwa ein anderer Rüde in steifer, angespannter Haltung mit aufgestellter Rute, gespitzten Ohren und fixierendem Blick unserem Freund nähert. Jetzt gibt es Halter-Typen, die sich breit grinsend diese Szene ansehen und dabei verkünden: „Lass ihn doch, das machen die schon unter sich aus“. Auf derartig unqualifizierte Sprüche hat der Wolfs- und Hundeforscher Günther Bloch die richtige Antwort gegeben. Sinngemäß: „Wer für die natürliche Auslese unter Haushunden ist, der kann die Hunde alles unter sich ausmachen lassen.“ Aber dafür sind in der Regel nur jene, die meinen, ihre Vierbeiner währen ohnehin die stärksten, größten und coolsten.

Die Attacke
Am Morgen des 3. Oktobers mache mich auf, um mit meinem Aussi-Rüden Satchmo eine Jogging-Tour um das Brachgelände an der Kugelfangtrift drehen. Gassi- und Wiesi-Geher kennen das Gebiet auch unter der Bezeichnung „Kleiner Truppi“. Seit einiger Zeit laufen wir dort wieder häufiger, nachdem das Revier bestimmt zweieinhalb Jahre so etwas wie eine No-Go-Area für uns war. Seinerzeit gab es ein paar Mal Ärger mit einem aufdringlichem Mischlingshund, der es darauf anlegte, Satchy zu provozieren und sich mit ihm in wilde Raufereien zu stürzen. Glücklicherweise kam es seinerzeit zu keinen Verletzungen. Trotzdem haben sowohl Satchy als auch mich diese Anpöbeleien ziemlich enerviert, zumal der Besitzer damals keinerlei Anstalten machte, seinen Hund im Zaum zu halten. Und komischerweise begegneten uns die beiden zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten. Ich, beziehungsweise wir, räumten also das Feld, der Klügere gibt nach und der Truppie war wegen dieses Chaos-Teams erst einmal gestorben.
Aber nachdem wir uns jetzt schon seit einigen Wochen wieder häufiger problemlos auf das Gelände gewagt haben, machen wir uns auch an diesem Feiertag gut gelaunt und bei schönster Oktobersonne auf die Socken – und Pfoten natürlich. Wir haben den Truppie etwa zur Hälfte umrundet, als ein gestromter Molosser-Rüde an mir vorbeiläuft und stringent auf Satchy zuhält. Ich habe den Hund zuvor noch gar nicht wahrgenommen. Die augenscheinliche Besitzerin, eine etwa 25 bis 30-jährige blonde Frau, ist etwa 15 Meter von uns entfernt. Ich stoppe, drehe mich um und sehe, wie der Molosser hochgereckt und mit steifen Bewegungen Satchy umkreist. Der senkt den Kopf und deutet eine Beschwichtigungsgeste an. Ich kenne meinen Hund und bemerke deutlich, dass er Bammel hat. Bevor ich selbst etwas unternehmen kann, ist die Keilerei schon in vollem Gange. Und blitzschnell beisst sich der Molosser – ein Doggo Canario, wie ich später erfahre – in Satchys rechter Backe einige Zentimeter unterhalb der Lefze fest. Der Angriff zielte wahrscheinlich auf den Hals. Inzwischen ist die Besitzerin heran gekommen. Alle lautstarken Appelle an ihren Hund, doch von seinem Opfer abzulassen, verhallen ungehört. Schon greift sie in sein Halsband und versucht, ihn von Satchmo wegzuziehen. Super Idee, ihr Molosser beisst nur noch fester zu und durch das Reißen werden wohl auch die Verletzungen vergrößert. Inzwischen habe ich mein Pfefferspray aus dem Laufrucksack gefingert, kann damit allerdings nichts anfangen, da ich wahrscheinlich auch Satchy in die Augen treffen würde. Also haue ich dem Molosser mit aller Kraft einige Male die geballte Faust auf die Stirn. Irgendwann lässt er los. Satchy und ich fliehen erst einmal aus der Kampfzone. Erst jetzt fängt er an, leise zu wimmern. Glückerweise gelingt es der Blonden, ihren Hund am Halsband festzuhalten.
Satchy hat einige glatte Durchbisse in der Backe, jeder etwa so groß wie mein kleiner Fingernagel. „Also, ihr Hund hat aber auch“, lässt die Molosser-Besitzerin verlauten. Was hat er? Bisswunden auf jeden Fall, aber nicht gebissen. Ja, räumt sie ein, ihr Hund sei ja wirklich nicht so ganz einfach. Ich bin irgendwie noch zu geschockt, um darauf die passende Antwort zu geben. Zugute halten muss man der Frau, dass sie ohne Umstände Adresse und Telefonnummer rausrückt. Ihr Hund sei versichert, sagt sie. Jetzt erst einmal ab zum Tierarzt. Satchy wird mit Antibiotika versorgt und wieder zusammen getackert.

Das Vertrauen unserer Hunde müssen wir uns auch verdienen

Wer nicht will, dass sein Freund irgendeinem zweifelhaften Krawall-Team aus gestörtem Hund und ignorantem Halter zum Opfer fällt, der oder die muss in solchen Situationen eingreifen, irgendwie. Am besten erst einmal versuchen, zu deeskalieren, den andern Hund möglichst zu vertreiben und seinen eigenen abzurufen. Aber wenn das augenscheinlich nichts nützt? Manche selbsternannte Hundeexperten raten, sich auf keinen Fall dazwischen zu stellen. Man könne ja selbst verletzt werden. An dieser Stelle müssen wir nur mal überlegen, was die Hunde alles für uns tun, beziehungsweise tun würden. Nicht selten setzen Hunde ihr Leben ein, um ihre Menschen vor Schaden zu bewahren. Und wir sollen einfach zusehen, wenn sie in Gefahr geraten. Für unsere Hunde sind wir, jedenfalls sollte es so sein, die Chefs, denen sie vertrauen. Und dieses Vertrauen können wir nicht einfach missbrauchen. Also, wenn unser Hund in Gefahr ist, gilt es das tun, was notwendig ist, um die Gefahr abzuwenden. Das bedeutet auch, das zu tun, wozu wir jeweils in der Lage und mutig genug sind. Wie das im Einzelfall aussieht, dafür gibt es kein Patentrezept. Wer etwas anderes behauptet, hat keine Ahnung. Manche erteilen den Rat, man solle auf keinen Fall schreien, denn das bedeute für die Hunde bellen und heize den Konflikt noch mehr an. So pauschal indes kann das nicht stehen bleiben. Es gibt durchaus Situationen, in denen sich potenzielle Angreifer durch Schreien ablenken oder gar vertreiben lassen. Manchmal lässt sich dadurch Zeit gewinnen, etwa um die Streithähne anzuleinen oder um mit seinem Hund das Weite zu suchen.
Wie auch immer, Patentrezepte gibt es nicht. Und letztlich sind Diskussionen über dieses Thema irgendwie so etwas Ähnliches wie die Unterweisungen über Erste Hilfe am Unfallort. Man muss sich damit beschäftigen, aber gleichzeitig hoffen wir, niemals wirklich mit den fraglichen Situationen konfrontiert zu werden. Und: Es gibt fragwürdige Pseudoweisheiten und Allgemeinplätze über Hunde. Einer aber hat seine Berechtigung: Wenn es unter oder mit Hunden zu Problemen kommt, haben das fast immer wir Menschen zu verantworten.
Post Skriptum: In diesem Sinne ist übrigens auch Inka Burows Beitrag über die Beißattacke der zwei Schäferhunde des Rockerchefs Hahnebutt in der Wedemark im Septmber sehr zu empfehlen! Bittere Wahrheit: „Auch außerhalb des Zauns haben die Hunde weiterhin nur das getan, was ihnen beigebracht wurde: Jeden beißen“.

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