Israel und der linke Antizionismus

Die politische Linke hat über Jahrzehnte eine als „Antizionismus“ verbrämte Israelfeindschaft gepflegt. Daran hat sich leider bis heute nicht viel geändert. Dabei ist Solidarität mit Israel notwendiger denn je.

Für die in den späten sechziger, siebziger und achtziger Jahren politisch Sozialisierten, die sich dem amorphen Milieu der politischen Linken zurechnen, gehört die Israelfeindschaft in der Regel zum politischen Einmaleins. Die Wende hinsichtlich einer in den ersten Nachkriegsjahrzehnten noch vorhandenen mehrheitlich pro-israelischen Position war dabei im wesentlichen der Ausrichtung der Kräfte im Nahen Osten entlang der Konfrontation der Blöcke, mithin entlang des Ost-West Konfliktes und den sich in diese Koordinaten fügenden Kämpfen sogenannter „Nationaler Befreiungsbewegungen“ geschuldet.

Völkische Implikationen

Innerhalb dieses Koordinatensystems gehörte Israel zum Lager der Aggressoren und galt als Brückenkopf des amerikanischen Imperialismus im erdölreichen Nahen Osten. Inspiriert von einer seinerzeit verbreiteten und zum Teil bis heute virulenten Denkweise, die auf die leninistische Imperialismustheorie zurückgeht, sich in Deutschland jedoch auf subtile Weise zusätzlich mit völkischen Implikationen anreicherte, wurde auf den arabischen Teil der arabisch-palästinensischen, in Israel lebenden oder von dort geflohenen und vertriebenen Bevölkerung affirmativ als kollektives Subjekt des „palästinensischen Volkes“ Bezug genommen, dem fortan die Solidarität von Linken verschiedener Couleur zuteil ward. „Palästina – das Volk wird siegen“, lautete die Parole sogenannter Autonomer, die damit implizit die in Israel lebende nicht-arabische Bevölkerung, die Juden, zur Gegnerin des „Volkes“, zum Nicht-Volk, Anti-Volk, stilisierte, womit sich bereits erahnen ließ, welches Schicksal den Juden im Falle eines Sieges in diesem „Volkskrieg“ zuteil geworden wäre.

Ideologisch implizierte Wahrnehmungsstörungen

Das Denken innerhalb der politischen Linken basierte auf streng dichotomischen Strukturen, die Welt spaltete sich in einen ausbeutenden und einen ausgebeuteten, einen unterdrückenden und einen unterdrückten Teil und der Judenstaat gehörte zum ersteren. Jene Aspekte der Wirklichkeit, die sich nicht in dieses Denksystem fügten, wurden weitgehend ignoriert. Wiewohl die US-amerikanische Unterstützung Israels durchaus auch machtpolitischen Interessen folgte, unterblieb doch fast vollständig die Analyse der zum Teil von einem radikalen Antisemitismus gekennzeichneten und kompromisslosen Politik seitens der Protagonisten des arabisch-palästinensischen Lagers.

Palästinensische Flüchtlinge als Faustpfand gegen Israel

Ebenfalls hinsichtlich einer Kritik an den autoritären Regimes in den arabischen Ländern und ihrer Politik übte man innerhalb der Linken bis Linksliberalen vornehme Zurückhaltung. Die Lebenssituation der palästinensischen Flüchtlinge in den Lagern wurde schließlich allein der Vertreibungspolitik Israel angelastet. Es wurde übersehen, dass die palästinensische Bevölkerung durch die Weigerung ihrer Führung sowie der arabischen Staatsführungen, sie in die Gastländer zu integrieren und mithin ihre Lebenssituation zu verbessern, in eine kollektive Geiselhaft als politisches Instrument gegen Israel genommen wurde. Israel galt damit als ein Unrechtstaat, der den Palästinensern das Recht auf ihr Territorium und letztlich das Recht auf Nationalstaatlichkeit verwehrte und darüber hinaus lediglich als imperialistischer Vasallenstaat der USA fungierte. Auf dieser Grundlage sprach man Israel dass Recht auf eine staatliche Existenz ab, seine Beseitigung musste mithin als ein Akt der Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung betrachtet werden.

Es ist bemerkenswert, mit welcher Ignoranz die Nachkommen der deutschen Tätergeneration des Holocausts darüber hinweg sahen, dass die israelische Staatsgründung sekundär eine Reaktion auf die weltweiten antisemitischen Verfolgungen sowie auf tradierte Verfolgungserfahrungen und primär auf die Vernichtung der europäischen Juden durch die deutschen Nationalsozialisten war.

“Antifaschistischer“ Impetus

Mit dem Impetus der moralischen und politischen Integrität als Linke und damit „Antifaschisten“ entledigte sich die deutsche Linke der mittelbaren Verantwortung für die Opfer der Verbrechen ihrer Väter, Großväter, Onkel und Tanten und imaginierte sich selbst zum potentiellen Opfer des Faschismus. Diese Haltung war gleichsam von der Anmaßung gekennzeichnet, auf die wirklichen Opfer keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Die Linke stand auf der Seite derer, die den Staat Israel beseitigen wollten. Der seinerzeit in der politischen Linken beliebte Vergleich des Schicksals der Palästinenser mit jenem der europäischen Juden und insofern der Vergleich der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern mit jener der deutschen Nationalsozialisten gegenüber den Juden, war schon immer perfide, denn weder bestand jemals der israelische Plan, die Palästinenser als Kollektiv physisch zu vernichten, noch hat es in der israelischen politischen Praxis derartige Ansätze gegeben. Am ehesten ist das Schicksal der Palästinenser, wenn man so will, mit jenem der vertriebenen und geflohenen Deutschen aus Osteuropa zu vergleichen und möglicherweise erklärt sich nicht zuletzt daraus die deutsche Affinität zu den Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten, die sich als „palästinensisches Volk“ verstehen. Um zu dem naheliegenden Schluss zu gelangen, dass das eine wie das andere eine Konsequenz der deutschen Vernichtungspolitik war, benötigte die politische Linke in Deutschland Jahrzehnte, und die meisten, die sich ihr zurechnen, haben dies in letzter Konsequenz immer noch nicht begriffen.

Linke Illusionen

In der Zeit des Blockdenkens war die politische Linke von der Illusion durchdrungen, mittels sozialistischer Umgestaltungen ließe sich in Palästina ein multiethnischer, sozialistischer Staat schaffen, in dem sowohl Juden als auch palästinensische Muslime ihren gleichberechtigten Platz hätten. In diesem Kontext hatte die antiimperialistisch artikulierte Israelfeindschaft noch eine gewisse Kohärenz im Kontext humanitärer Zielsetzungen, auch wenn sie damals schon falsch war. Denn wären jene, die den Staat Israel beseitigen wollten, erfolgreich gewesen, gäbe es heute weder diesen Staat noch einen „multireligiösen“ sozialistischen Staat Palästina, den die PLO damals vorgeblich anstrebte. Palästina wäre, so lehrt ein Blick auf seine arabischen Nachbarländer sowie auf die palästinensische Autonomiebehörde, ein von korrupten autokratischen Gruppen ehemaliger „Freiheitskämpfer“ beherrschtes Land mit einer mehrheitlich verarmten Bevölkerung, worin die wenigen verbliebenen und geduldeten Juden nur noch ein Paria-Dasein fristen könnten.

Antisemitische Denkmotive

War die antiisraelische Haltung der politischen Linken aus diesen und anderen Gründen also bereits in den siebziger und achtziger Jahren fatal, so ist sie heute unverantwortlicher denn je. Denn ein Zerbrechen des Staates Israel würde in der antisemitisch aufgeladenen und von einem eliminatorischen Geist gekennzeichneten Situation, wie sie heute in der arabischen Welt anzutreffen ist, einen neuen Massenmord an jüdischen Israelis auslösen. Wer für diese Situation die auf Verteidigung und Selbsterhalt ausgerichtete Politik Israels und seines Militärs (mit)verantwortlich macht, wie es derzeit von Rechts bis zum Teil Links beliebt ist, reproduziert damit ein Denkmotiv, das zum Kern faschistischer und islamistischer Diskurse gehört: den Antisemitismus. Die weitere Verelendung der Bevölkerungen weiter Teile der Welt, die Verarmung großer Bevölkerungsteile in den Peripherien und die Entstehung neuer Peripherien nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus, die zunehmende Polarisierung von Arm und Reich in den Ländern der Zentren bringt, vor dem Hintergrund brüskierter Hoffnungen auf auf die Verbesserung der materiellen Lebenssituation, eine neue internationale Welle des Antisemitismus hervor. Dieser Umstand müsste eine Haltung gebieten, die den Schutz der leibhaftigen und potenziellen Opfer in das Zentrum ihrer theoretischen und praktischen Bemühungen rückt.

Solidarität mit Israel

Eine solche Haltung müsste auch eine prinzipielle Solidarität mit jener Institution gebieten, die derzeit als fast einzige den Willen hat und dabei auch über die notwendigen Mittel verfügt, um Juden vor dem antisemitischen Wahn zu schützen: nämlich mit dem Staat Israel. Wer heutzutage zu der Erkenntnis gelangt, dass Antisemitismus wieder (oder nach wie vor) ein virulentes Phänomen ist und deren Opfer Schutz bedürfen, der oder die muss für den Schutz des Staates Israel plädieren und diesem auch die Mittel und Methoden zugestehen, mit denen er sich wirkungsvoll schützen kann.

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