Tsipras macht den Kotau

Dass die neue Athener Regierung über kurz oder lang die weiße Fahne hissen würde, war zu erwarten. Beeindruckend ist allerdings, wie schnell die Tsipras-Truppe vor den Austeritätsforderungen der EU-Troika und ihres Mentors Wolfgang Schäuble eingeknickt ist. Es ist wahr, dass keine der möglichen Optionen Griechenlands, vom Schuldenschnitt bis hin zum Ausstieg aus dem Euro, schnell alle ökonomischen und sozialen Probleme gelöst hätte. Aber wahr ist auch: ein weiterer sozialer Kahlschlag, wie von Schäuble und Co gefordert, wird das Land auf längere Sicht nur noch mehr in die Krise stürzen.
Die Ergebnisse solcher Strukturreformen unter Regie von IWF und Weltbank lassen sich in den gescheiterten Staaten Afrikas besichtigen: Operation gelungen, Patient tot. Fast alle Länder, die in den 1980er und 90er Jahren dieser ökonomischen Rosskur unterzogen wurden, befinden sich seit Langem in Auflösungsprozessen, zerfressen von Kriegen, Bürgerkriegen und Terrorismus.

Es gibt kein einziges gelungenes Beispiel für die Therapie, die Griechenland verordnet wird. Alexis Tsipras und seine Minister wissen das. Trotzdem scheint ihnen das Nachgeben vor dem ansonsten drohenden Staatsbankrott das kleinere Übel zu sein. Dabei wäre der Bankrott vermutlich der einzige Weg für eine grundsätzliche Kurskorrektur gewesen. Die Banken und EU-Institutionen hätten Farbe bekennen müssen: Schuldenschnitt oder Grexit. Statt dem Ende mit Schrecken droht jetzt unter der vom Parteienbündnis Syriza geführten Koalition ein weiterer Schrecken ohne Ende.
Jene, die Alexis Tsipras in Hoffung auf einen Politikwechsel ihre Stimme gegeben haben, werden sich verraten und verkauft fühlen. Der prinzipielle Vertrauensverlust in die Politik aber läutet das Ende des demokratischen Systems ein und ist erste Schritt ins Chaos.

Erben des Untergangs

Wolfgang Schäuble mag im Angesicht seines Sieges über die Niederlage der Tsipras-Regierung und über ihren Athener Kotau spotten: „“Regieren ist ein Rendezvous mit der Realität“. Über kurz oder lang wird ihm beziehungsweise seinen Nachfolgern diese „Realität“ krachend um die Ohren fliegen. Ein Europa, worin sich einige ganz wenige hoch industrialisierte Exportnationen – wie insbesondere Deutschland – an den ökonomisch schwachen Ländern schadlos halten, wird scheitern. Die Griechen, Spanier und Portugiesen werden es auf Dauer nicht hinnehmen, sozial und wirtschaftlich weiter zu verelenden, während Deutschland seine wirtschaftlichen (und politischen) Muskeln spielen.
Zwei Möglichkeiten gäbe es, den absehbaren Niedergang Europas vielleicht noch aufzuhalten. Eine läge darin, die armen Regionen Europas über einen sehr langen Zeitraum hinweg mit Transferleistungen zu fördern. Das wäre teuer und müsste den Leuten hierzulande plausibel gemacht werden. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die andere Möglichkeit wäre der Ausstieg von Ländern wie Griechenland aus der europäischen Gemeinschaftswährung. Das würde ihnen perspektivisch wieder die Möglichkeit eröffnen, durch eine nationalstaatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik die großen wirtschaftlichen Strukturunterschiede zu den europäischen Zentren auszugleichen.
Der Sieg der europäischen Austeritätspolitik über die Syriza-Regierung hingegen ist ein Pyrrhussieg. Kommende Generationen werden den Untergang der europäischen Idee beerben.

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