Hurra – der Wolf ist da: Der Polizeiruf 110 und das Rotkäppchen Syndrom

Er ist wieder da. Nachdem der seinerzeit letzte Wolf auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1904 zur Strecke gebracht wurde, wanderte Meister Isegrim spätestens seit den 1990-Jahren von Osten her wieder bei uns ein. In der ostdeutschen Lausitz leben mittlerweile 14 Rudel und inzwischen wird auch aus Niedersachsen gemeldet: Wolf gesichtet! „Für Niedersachsen können in acht Regionen Wölfe bestätigt werden“, meldet das sogenannte „Wildtiermanagement Niedersachsen“, eine Initiative der Landesjägerschaft.

„Mensch und Wolf waren sich schon immer Feind“

Umweltschützer, Naturfreunde und Wolffans können sich also darüber freuen, dass der Wolf hierzulande an vielen Orten wieder Quartier nimmt. Aber leider ist die Freude nicht ungeteilt. Nicht nur in dem Krimi „Wolfsland“, der am Sonntag den 15.12. dieses Jahres in der ARD Reihe Polizeiruf 110 ausgestrahlt wurde, hat der Wolf etliche Feinde, die ihm am liebsten eins über den Pelz brennen würden – und das von Zeit zu Zeit auch tun. In dem Krimi ist es vor allem die Jagdpächterin und Schlossherrin Elisabeth von Taupitz, die ihre mit Schrotflinten bewehrten Büttel des nachts in die Wälder der brandenburgischen Lausitz schickt, um dem dort heimisch gewordenen Wolfsrudel den Garaus zu machen. „Mensch und Wolf waren schon immer Feinde“, sagt die Wolfshasserin in dem Film, dessen Drehbuchautoren Rainer Butt und Ed Herzog sich im Vorfeld gut über den Wolf und seine Situation in Deutschland informiert haben.
Schlafender Wolf
Wolf – schläft nur!

Ja, es ist wohl so, Mensch und Wolf waren sich schon immer Feind, und unter dieser Feindschaft haben, nebenbei bemerkt, auch die domestizierten Nachfahren der Wölfe, unsere Haushunde, bisweilen zu leiden (aber das ist ein anderes Thema).
(Ein Kommentator hat darauf hingewiesen und daher muss ich mich etwas korrigieren: die Feindschaft ging und geht wohl überwiegend vom Menschen und nicht vom Wolf aus. Letzterem ist der Mensch eher piepe, sofern er Meister Isegrimm in Ruhe lässt.)
Wolfsexperte Sebastian Koerner hat einiges zu diesem Thema beizutragen. Als Biologe und Naturfilmer begleitet er seit 2003 die Rückkehr der Wölfe in die ostdeutsche Lausitz. Den Polizeiruf-Machern stand er mit Rat und Tat zur Seite. Dabei lieferte er insbesondere auch die schönen Wolfsaufnahmen, die in dem Film zu sehen sind. Dabei handelt es sich nämlich überwiegend nicht um gestellte Szenen mit Wolfshunden oder trainierten Wölfen aus dem Wildpark, sondern um echt wildes Leben in der freien Natur. Allein schon dieser Aufnahmen wegen ist der Film sehenswert.
Die im Krimi aufgezeigten Spannungen zwischen Wolfsschützern und Wolfsgegnern kämen der realen Situation schon ziemlich nahe, sagt Koerner in einem Tagesspiegel-Interview.
Es gäbe immer noch Jäger,

die denken, das Wild gehört ihnen und die den Wolf ganz archaisch als Konkurrenten ansehen. Und dabei geht es natürlich auch ums Geld. Viele Jagdpächter und Grundstückseigentümer befürchten, dass ihre Jagdgebiete durch den Wolf an Wert verlieren, weil dieser so viele Tiere reißt. Das klingt zwar plausibel, doch seitdem der Wolf zurück in der Lausitz ist, haben die Jäger nicht weniger geschossen als vorher. Leider können oder wollen einige Menschen nicht von den Erfahrungen anderer lernen. Hier in der Lausitz gibt es junge Familien, die immer wieder vor die Presse geschoben werden, weil sie angeblich Angst davor haben, ihre Kinder im Wald spielen zulassen. Dabei lebt die Mehrzahl der Leute hier seit rund 14 Jahren mit den Wölfen problemlos zusammen. Die Leute gehen im Wald spazieren oder sammeln mitten im Wolfsrevier Pilze, wie früher auch.

Rotkäppchen und der böse Wolf“

Doch das Rotkäppchensyndrom, die alte tief verwurzelte Angst der Menschen vor dem „bösen Wolf“, sitzt eben immer noch tief.
Wolf im Profil. Schläft!
Psst! Nicht wecken!

Vielleicht liegt das gerade auch daran, dass Mensch und Wolf sich eigentlich ziemlich ähnlich sind. Beide leben in engen Sozialverbänden, beide haben es auf die gleichen Beutetiere abgesehen. Der Wolf war und ist Konkurrent – und Konkurrenten konnten die Menschen noch nie besonders gut neben sich ertragen. Um die dadurch entstehen Animositäten zu rechtfertigen, muss man den Wolf eben dämonisieren. Im wirklichen Leben hat sich in der Lausitz ein Antiwolfsverein gebildet, der unter der Bezeichnung „Sicherheit und Artenschutz“ firmiert. Man könne Raubtiere wie den Wolf nicht unbejagt lassen, heißt es in dessen Reihen:

Die Verbreitung der Wölfe müsse reguliert werden, bevor Schlimmeres passiere. Als in Russland die Männer im Krieg waren, (…) seien die Wölfe schließlich auch über die Dörfer hergefallen.

Viel mehr als am Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf ist auch an solchen Geschichten nicht dran, versichern Wolfsexperten. Aber natürlich, wer eine Schafsherde sein eigen nenne, solle sich lieber gleich einige furchteinflößende Herdenschutzhunde anschaffen, bevor der Wolf bei den Schafen zu sehr auf den Geschmack gekommen ist. Denn der Wolf ist eben „auch nur ein Mensch“, warum sollte er es sich bei der Jagd auf Hirsche und Rehe schwermachen, wenn ihm anderswo das Festmahl auf dem silbernen Tablett serviert wird?

Wolf: Aufgewacht
Au weia! Aufgewacht!

„Schießen, schaufeln, Schnauze halten“

Doch während Schafe und Schnucken durchaus auf Meister Isegrims Speiseplan stehen, meiden die Wölfe Begegnungen mit Menschen. Sichtungen sind sehr selten und erfordern viel Sachkenntnis und Geduld. Zu fürchten hat sich also nicht der Mensch vor dem Wolf, sondern eher der Wolf vor dem Menschen. Denn obwohl Wölfe inzwischen eine geschützte Art sind, gibt es immer wieder Jäger, die den Finger schnell am Abzug haben, wenn ihnen doch einmal ein Canus Lupus über den Weg läuft. „Es gibt seit dem Jahr 2000 acht Fälle, die bekannt geworden sind“, sagt Koerner:

Entweder wurden verendete Tiere gefunden oder die Schützen haben sich selbst angezeigt. Eine Zeit lang ist etwa die sächsische Jägerschaft mit ihrer Ablehnung gegen den Wolf sehr intensiv in die Medien gegangenen. Wolfsfreunde hatten damals den Jägern vorgeworfen, illegal Jagd auf Wölfe zu machen. Daraufhin hatte der damalige Präsident des sächsischen Landesjagdverbandes gesagt, er lege für seine Jäger die Hand ins Feuer. Ich glaube, zwei oder drei Jahre später hat man dann aber eine fies angeschossene Wölfin aus dem Nochtener Rudel gefunden. Ich denke, nur wenige Fälle werden bekannt. Doch die Dunkelziffer ist vermutlich viel höher. Zumal sich die Tat recht gut verschleiern lässt. Unter wolfsskeptischen Jägern heißt es, wer einen Wolf schießen will, muss nur die drei S befolgen: schießen, schaufeln, Schnauze halten

Zwar drohen den Tätern formal hohe Strafen, bis zu 20.000 Euro Geldstrafe und bis zu fünf Jahren Haft können verhängt werden. In der Praxis aber ist es bisher kaum zu Verurteilungen gekommen. Um ungeschoren zu bleiben, reicht es meist, wenn der Betreffende behauptet, er habe den Wolf mit einem Hund verwechselt. Was im Übrigen ein recht bezeichnendes Bild auf die Situation der Hunde in unserer Gesellschaft wirft.

Wolfspanik auch in Niedersachsen

Wie in der Lausitz haben sich inzwischen auch in Niedersachsen die Gegner von Meister Isegrim zu Wort gemeldet. In Bergen, Kreis Celle, tagte unter dem Motto „pro und kontra Wolf“ vor kurzem eine Versammlung im Stadthaus, zu der, wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete, 500 Menschen erschienen waren:

Die meisten Bewohner der Südheide machten keinen Hehl aus ihrer Ablehnung, nur wenige gaben sich als Freunde der Wölfe zu erkennen. Ferienhausvermieter berichteten, Familien mit Kindern hätten ihren Urlaub in der Heide mit Hinweis auf die Wölfe abgesagt. Dieter Heine, Hoteleigentümer in Celle, warnte vor dem Verlust von Arbeitsplätzen im Tourismus, wenn immer mehr Gäste aus Angst vor Wölfen ausblieben. (…) Einzelne Jäger erkundigten sich, ob nicht Einzelabschüsse erlaubt werden könnten, um ein weiteres Anwachsen der Population zu verhindern.“ Nein, habe Kreisjägermeister Hans Knoop diesem ansinnen beschieden: „Wer einen Wolf töte, begehe ein Straftat und müsse seinen Jagdschein ‚für den Rest seines Lebens’ abgeben.

Hoffentlich ist das angekommen.
Trotz aller Anfeindungen sind Wolfs- und Naturschützer inzwischen einigermaßen einflussreich, sodass es hoffentlich gelingen wird, dem Wolf wieder dauerhaft bei uns ein Zuhause zu geben. Mittlerweile sickert bei Vielen die Erkenntnis durch, das nicht nur der Mensch, sondern auch andere Wesen, die ihm jahrtausendelang als Konkurrenten galten, ein Lebensrecht auf dieser Erde haben.
Aber eins ist auch klar. Den Wolf gibt es in Deutschland nicht zum Nulltarif. Damit Mensch, Wolf und Schnucke gedeihlich nebeneinander leben können, braucht es öffentliche Investitionen in Schutzzäune, Herdenschutzhunde – und Entschädigungszahlungen an von Wolfsriss betroffene Landwirte.
Aber lohnt es sich nicht, in so schöne, intelligente und soziale Geschöpfe wie den Wolf zu investieren?!

Wolfsseite des NABU: Klick!

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