Benediktiner in der Großstadtwüste

(Asphalt Magazin, Januar 2010)
Im hannoverschen Stadtteil List betreiben Benediktiner ein kleines Kloster, die Cella Sankt Benedikt. Derzeit führen hier zwei Mönche ein modernes Großstadtleben nach alten benediktinischen Ordensregeln. Im Mittelpunkt stehen Arbeit und Gebet. Jetzt ist ein Ausbau der Kapelle geplant.
Hinter der Fassade des Gründerzeitgebäudes in der Vossstraße 36 vermutet wohl kaum jemand ein Gotteshaus. Das sich hier etwas Besonderes verbirgt, lässt allenfalls das aufwendig gestaltete Fenster neben der Eingangstür erahnen. Es ist ein Werk der Künstlerin Hella Santarossa, die etwas Ähnliches bereits für den Christuspavillon auf der Expo 2000 geschaffen hat.

Ein lichter und freundlicher Ort

Wir befinden uns in der Kapelle der Cella Sankt Benedikt, eines Klosters im Kleinformat, ansässig im hannoverschen Stadtteil List. Die Klosterkapelle hat eher den Charakter eines Meditationsraums denn einer Kirche. Es ist ein lichter und freundlicher Ort. Statt Gestühl stehen kleine Gebetshocker bereit, wer will, kann auf den Bänken an den Seitenwänden Platz nehmen. Pater Dieter sitzt im weißen Ordensgewand auf einem großen hellen Teppich, der sich zwischen Altar und Lesepult, dem Ambo, ausbreitet. In feierlichem gregorianischen Gesang stimmt er einen Psalm an: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke – vielfach bewährt als Helfer in Nöten“. Acht Besucher sind an diesem Abend zur Vesper erschienen: „Darum bangen wir nicht, mag auch die Erde wanken – mögen Berge stürzen in die Tiefe des Meeres“, antworten sie mit dem nächsten Vers.

„Nach der Konfession wird keiner gefragt“

Mehrmals in der Woche laden die Mönche zur Teilnahme an den Gottesdiensten ein. An Wochenenden kommen auch schon mal über 50 Leute, um die musikalisch oft besonders gestalteten Feiern zu erleben: „Wir Benediktiner sind ein gastfreundlicher Orden“, sagt der 51-jährige Benediktinerpater Dieter Haite, „bei uns sind alle herzlich willkommen. Nach der Konfession wird keiner gefragt“.
Cella Sankt Benedikt
Cella Sankt Benedikt in der Voßstraße 36
Seit 1988 existiert die klösterliche Zelle im Kern Hannovers. Den Anstoß zur Gründung gab der ehemalige Hildesheimer Bischof Josef Hohmeyer. Neue Orte klösterlichen Lebens zu schaffen war sein Anliegen, und damit wandte er sich an die Benediktinerabtei Königsmünster im nordrhein-westfälischem Meschede. „Wir waren bereit, aber wir wollten etwas Neues machen“, erzählt Pater Dieter, der von Anfang an dabei war und die Gründung organisierte: „Deswegen sind wir als kleine Gemeinschaft in die Großstadt gegangen. Das gab es bei den Benediktiner noch nicht.“ Ein Experiment für die an das Leben in großen Klöstern gewohnten Mönche. Derzeit wohnen und arbeiten zwei Ordensmänner in der Cella, zwischendurch waren es auch schon einmal fünf. „Gruppendynamik gibt es auch bei Mönchen“, berichtet Pater Dieter, „das enge Zusammenleben in einer kleinen Gemeinschaft hat anfangs manchmal zu Spannungen geführt“.

Rückzug in die Metropole

Pater Dieter und Bruder Karl-Leo Heller sind geblieben. Das städtische Leben bringt sie ihrem Verständnis nach wieder stärker an die Ursprünge des Mönchtums heran. Während sich die ersten Mönche in die Einöden der Sahara zurückzogen, haben die zwei Benediktiner die Anonymität der Metropole gewählt. „Die Hektik und Vereinzelung in der Stadt, all das hat ja etwas von Wüste“, sagt Pater Dieter. Hier wollen die Ordensbrüder mit ihrer Cella eine Oase bilden, die durch Beratung und Begleitung in der Stadt präsent ist. Aber weniger als Prediger und Redner sondern eher als Fragende: „Wir wollen verstehen, wie die Menschen oft fern von der Kirche in der Stadt leben, wonach sie innerlich suchen.“

Ora Et Labora

Wohl nicht zufällig haben die Benediktiner daher beratende Berufe gewählt. Ordensgründer. Benedikt trug seinen Anhängern im 5. Jahrhundert auf, jedes Kloster wirtschaftlich unabhängig zu führen. Das gilt auch heute noch. Pater Dieter hat sich nach seinem Theologiestudium zum Coach und Supervisor weitergebildet. Seit 1998 arbeitet er als freier Berater für Wirtschaftsunternehmen sowie für soziale und kirchliche Einrichtungen. Während der Expo in Hannover gestaltete er das Programm im Christuspavillon. Bruder Karl-Leo betreibt eine Praxis für Atem-, Stimm- und Sprechtherapie.
Die Brüder üben ihre Tätigkeiten überwiegend in der Cella aus, das ist ihnen wichtig. Denn neben der Arbeit gehört das gemeinsame Gebet zu den Hauptstationen im Klosteralltag. Ora et labora, Arbeit und Gebet, lautet die Grundregel des Ordens. „Die sieben Gebetszeiten sind fester Bestandteil unseres Lebens“, erklärt Pater Dieter. Das hat für die beiden Brüder nichts Eintöniges, im Gegenteil: „Für uns bleibt dadurch immer eine Spannung erhalten. Das ist eine Kraft, die den Benediktinerorden über viele Jahrhunderte geprägt hat“, sagt der Mönch.

Ausbau der Kapelle geplant

Für die beiden Mönche ist die Kapelle das geistige Zentrum des kleinen Klosters. Deshalb und weil auch die Besucherzahl wächst, ist nun der Ausbau geplant. Alles soll sakraler, feierlicher, größer und heller werden. Damit bekommt die Klosterkapelle endlich das Gewicht, das ihr zusteht, meinen die Mönche. Nach außen, zur Straße hin, wird sich wenig ändern. „Aber wer uns sucht, wird uns auch finden“, sagt Pater Dieter.

Interview

Freiheit ist etwas Göttliches

Benediktinerpater Dieter Haite über Religion und Christentum heute

AB: Pater Dieter, leben wir in einer gottlosen Gesellschaft?
Pater Dieter: Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Aber Glaube und Spiritualität haben sich in ihren Konturen deutlich verändert. Das ist nicht mehr einfach mit christlichen Begriffen zu fassen sondern eine sehr freie Suche. Religion lässt sich nicht erzwingen. Dem steht die Freiheit entgegen und Freiheit ist vom Kerngedanken her immer schon etwas Göttliches.
AB: Gerade in der Stadt scheint das Christentum heute an Boden zu verlieren. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Pater Dieter: Die Kirche hat ein Problem damit, sich verständlich zu machen. Was sind eigentlich die Geheimnisse, die man in der Liturgie feiert? Und die Kirche hat den großen Fehler gemacht, Moral mit Religion zu verwechseln. Religion ist nicht Moral sondern stellt die großen Fragen, die sich jeder stellt: Woher komme ich, wer bin ich und wo will ich hin. Darum geht es. Man muss die Menschen und ihre Gefühle ernst nehmen.
AB: Müssen also Gottesdienst und Liturgie verständlicher werden?
Pater Dieter: Man muss nicht alles verstehen, es braucht eine Spannung zur Fremde. Aber die darf nicht als Macht missbraucht, sondern sollte eher als Einladung zur Reise verstanden werden, so als führe man in exotische Länder. Das Fremde erfahrbar werden zu lassen und nicht alles tot zu reden spielt eine große Rolle dabei. Dazu bedarf es einer Modernisierung, ohne das Alte völlig platt zu machen.
AB: Pater Dieter, vielen Dank für das Gespräch!

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