Wir wissen nicht mehr, wo wir hingehören

(Der Flüchtlingsrat, Sonderheft 117 – 2007: „Wir wollen leben, wie Menschen es verdient haben!“ Flüchtlinge im Portrait)

Wie so häufig in den letzten Monaten ist die drohende Abschiebung auch heute wieder das beherrschende Thema bei den Beqiroviqs. Zu Gast ist Matthias Köhler, der Chef des Familienvaters. Aus den hinteren Zimmern tönt Kinderlärm. Bei Kaffee und Kuchen wird über Petition, Härtefallantrag und Bleiberechtsregelung geredet. „Die ist aber noch ganz schön eisig“, bemerkt Matthias Köhler zwischendurch mit einer kleinen Geste in Richtung Kuchen. „Tut mir Leid“, erwidert Jupo Beqiroviq und lächelt verschmitzt.


Jupo Bequiroviq
Jupo Bequiroviq

Eisig geht es hier ansonsten nicht zu. Die halb aufgetaute Torte kann das Verhältnis zwischen ihm und seinem Arbeitgeber kaum trüben. Jupo Beqiroviq, der Mann mit den scharf geschnittenen Gesichtszügen und einem Lächeln im Blick, das ihn nur selten verlässt, hat den Inhaber einer Wohnungsverwaltungsgesellschaft mit seinem handwerklichen Talent überzeugt und arbeitet nun bei ihm als Hausmeister. Matthias Köhler unterstützt die Familie Beqiroviq inzwischen engagiert in ihren Bemühungen um ein Bleiberecht in Deutschland. „Das geht nicht spurlos an einem vorüber, wenn man sieht, wie die Familie hier seit Jahren in Deutschland lebt und immer noch im Ungewissen über die Zukunft gelassen wird“, sagt er.

Soziale Erwägungen spielen keine Rolle
Seit fast 14 Jahren befinden sich die Beqiroviqs in einem rechtlichen Schwebezustand und werden nur „geduldet“, jetzt sollen sie das Land verlassen. Unermüdlich hat Jupo Beqiroviq, Jahrgang 1953, Nachbarn, Arbeitskollegen, Geschäftsleute, Kirchengemeinden und Bekannte abgeklappert, um Unterschriften für eine Petition an den niedersächsischen Landtag zu sammeln. Über 400 Unterstützer, die sich für eine Aufenthaltserlaubnis der Familie einsetzen, hat er zusammen getrommelt. „Vorab haben wir aus dem Landtag erfahren, dass die Petition trotzdem abgelehnt worden wäre“, sagt Matthias Köhler. Soziale und menschliche Erwägungen würden bei der Entscheidung wohl keine Rolle spielen, und rechtlich seien alle Möglichkeiten ausgeschöpft. „Wir haben die Petition zurückgezogen“, erklärt der 49jährige Unternehmer: „Dadurch besteht jetzt die Möglichkeit, einen Härtefallantrag zu stellen.“ Erst Mitte des Jahres 2006 hat die niedersächsische Landesregierung eine Härtefallkommission eingerichtet, die abgelehnten Asylbewerbern unter bestimmten Umständen zu einem Aufenthaltsrecht in Deutschland verhelfen kann. Darin, und in dem Bleiberechtsbeschluss der Innenminister der Länder, besteht die letzte Chance der Familie auf eine Zukunft in Deutschland.

„Früher ging es uns gut in Jugoslawien“
Im Jahr 1992 ist Jupo Beqiroviq zusammen mit seiner heute 37jährigen Frau Miradi und seinen Kindern Blerim und Hüsnije aus einem kleinen Dorf nahe der Stadt Istok im Kosovo geflohen. „Früher ging es uns dort gut“, sagt er, „ich habe als Verkäufer in einem Geschäft für Baustoffe und Möbel gearbeitet, wir hatten ein Haus, ein Auto, alles was wir brauchten.“ Anfang der neunziger Jahre hat sich die Situation jedoch auch für die Beqiroviqs immer mehr verschlechtert. Bürgerkriegsähnliche Unruhen erschütterten damals die südserbische Provinz, deren albanische Bevölkerungsmehrheit die Unabhängigkeit forderte. „Die ganze Stadt war plötzlich voll von serbischen Soldaten mit automatischen Gewehren“, sagt Jupo Beqiroviq. Leute auf der Straße seien willkürlich verhaftet worden: „Wenn man den Soldaten guten Tag sagte, war es nicht gut. Wenn man nicht guten Tag sagte, war es noch schlechter. Wir mussten uns alles gefallen lassen.“ Irgendwann habe er sich gefragt, worauf er noch warten solle. Viele seiner zehn Geschwister sowie seine Eltern waren bereits in Deutschland.
Zusammen mit anderen Flüchtlingen ging es in einem Kleinbus durch das krisen- und kriegsgeschüttelte Jugoslawien Richtung Norden. Über die näheren Umstände der Flucht verliert Jupo Beqiroviq nicht viel Worte. Zunächst verschlug es die Familie in die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber nach Braunschweig. Dort wurde ein Asylantrag gestellt. Die Ablehnung erfolgte nach drei Monaten. Eine anwaltliche Vertretung hatte die Familie nicht. „Wir kannten uns noch nicht aus mit so etwas, wussten nicht, wohin wir uns wenden sollen“, erzählt Jupo Beqiroviq.

Die Sozialhilfe abzulehnen war gar nicht einfach
Knapp eine Woche nach Ankunft in der Erstaufnahmestelle wies man der Familie einen Platz in einer Hildesheimer Gemeinschaftsunterkunft zu. Einige Jahre später erhielten die Beqiroviqs schließlich die Wohnung in einem Haus der Firma Köhler. „Herr Beqiroviq hat mir am Anfang mit kleineren Reparaturen ausgeholfen“, erzählt der Unternehmer: „Das wurde dann immer mehr. Wir betreiben auch ein Studentenwohnheim, da konnte ich einen handwerklich versierten Hausmeister gut gebrauchen.“ Anfang des Jahres 2001 erhielt Jupo Beqiroviq einen Arbeitsvertrag über 20 Stunden pro Woche. „Dass er eine Arbeitserlaubnis bekommen hat, war auch Glücksache, es hat sich Gott sei Dank kein bevorrechtigter Arbeitsloser für die ausgeschriebene Stelle gefunden“, meint Matthias Köhler.
Als Jupo Beqiroviq den Arbeitsvertrag in der Hand hatte, meldete er sich umgehend beim Sozialamt ab. Die Familie habe jedoch weiterhin Anspruch auf ergänzende Unterstützung, wurde ihm dort mitgeteilt. Zwei Kinder waren zwar inzwischen aus dem Haus, 1993 kam jedoch die Tochter Ajshe und zwei Jahre später der Sohn Arben zur Welt. Zusammen mit der 1991 geborenen Blerina war das ein fünfköpfiger Haushalt, dessen amtlich errechneter Bedarf das kleine Einkommen des Familienvaters deutlich überstieg. Dennoch, die Beqiroviqs wollten jetzt kein Geld mehr vom Staat. „Es war gar nicht so einfach, das abzulehnen“, erzählt Jupo Beqiroviq lächelnd. Er habe dafür eine schriftliche Verzichtserklärung abgeben müssen. Die im Jahr 2001 erlassene Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien half der Familie Beqiroviq trotzdem nicht. Denn dafür hätten die Betroffenen bereits in den zwei zurückliegenden Jahren fest in Lohn und Brot stehen müssen. Zu diesem Zeitpunkt suchte Jupo Beqiroviq noch händeringend nach einem Job, für das Ausländeramt kein Thema.

„Was soll ich anderes sein als Albaner?“

Zurück in den Kosovo konnten die Beqiroviqs trotzdem nicht. Dort war die Situation im Verlauf der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts immer mehr eskaliert. Im Jahr 1999 hatte die NATO Krieg gegen Restjugoslawien geführt und die jugoslawischen Truppen zum Abzug aus der Provinz gezwungen. Die Zivilverwaltung wurde von der UNMIK-Mission der UNO übernommen, NATO-Truppen aus verschiedenen Ländern rückten ein und übten jetzt die militärische Kontrolle aus. Sie verhinderten jedoch nicht, dass albanische Nationalisten daran gingen, Bevölkerungsminderheiten mordend und brandschatzend aus der Provinz zu vertreiben.
Die Nachrichten aus Kosovo machten den Beqiroviqs klar, das in ihrer ehemaligen Heimat Menschen mit etwas dunklerer Hautfarbe wie sie nun als „Zigeuner“ beschimpft und verfolgt wurden. „Vor dem Krieg waren wir Albaner“, sagt Jupo Beqiroviq, „jetzt wurde gesagt, wir sind Ashkali. Wir haben mit den Albanern gelebt, unsere Sprache ist albanisch, was soll ich anderes sein“, fragt er. „Erst nach dem Krieg wurde behauptet, wir gehören mehr zur Romaseite.“

Pogrome gegen Roma und Ashkali nach dem Kosovokrieg
Bereits vor dem Kosovokrieg bezeichnete sich ein Teil der Bevölkerung in der südserbischen Provinz als „Ashkali“. Sie glauben, dass ihre Vorfahren vor langer Zeit mit den Heeren Alexander des Großen auf den Balkan kamen und ursprünglich aus Ägypten stammen. Viele, wie Jupo Beqiroviq, die aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe dieser Gruppe zugerechnet werden, interessierte der ethnische Stempel jedoch nicht. Sie fühlten sich in erster Linie als Albaner und standen auch während des Krieges auf albanischer Seite. „Jetzt wissen wir auf einmal nicht mehr, wo wir hingehören“, sagt Jupo Beqiroviq.
„Albaner unterscheiden nicht zwischen Ashkali und Roma“, schreibt Nikolaus von Holtey, der für die Organisation Pax Christi in Heidelberg Flüchtlinge aus Kosovo berät, in einem Online-Dossier. Neben der Bezeichnung „Magjup“, zu deutsch Zigeuner, sei auch der Ausdruck „Albaner zweiter Hand“, also „zweiter Klasse“, seit alters her üblich. Beide Ausdrücke besitzen eine herabsetzende Bedeutung“, notiert von Holtey1.
Für die Betroffenen im Kosovo hat das Signum „Zigeuner“ fatale Konsequenzen. Mehrmals war von Holtey seit dem Kosovokrieg vor Ort, hat mit Opfern gesprochen und wurde selbst bedroht. In einem seiner Berichte beschreibt er die Pogrome gegen Ashkali in dem Städtchen Vucitrn: „Am 21.06.1999 trafen Gruppen von Männern, zum Teil bewaffnet, in den Straßen der Ashkalia ein. Mit Gewalt drangen sie in einzelne Häuser ein. Unter Morddrohungen mit vorgehaltener Waffe und schweren körperlichen Mißhandlungen mit Holz- und Eisenstangen wurden die ersten Familien aus ihren Häusern vertrieben. Weder alte Menschen, noch Frauen und Kinder wurden verschont. Es wurde mit Fäusten, Gewehrkolben, Äxten und Hämmern geschlagen. Es wurde getreten, gestoßen und an den Haaren gezogen. Frauen wurde vor Augen der Familie Kleidung zerrissen. Frauen wurden (sic) vor Augen der Familie sogar die Unterwäsche nach Gold und Geld durchsucht. Kinder wurden mit dem Messer am Hals als Druckmittel mißbraucht, Wertgegenstände herauszurücken und das Haus sofort zu verlassen. […] Überall war das Weinen und Schreien der Wehrlosen zu hören. Der Rauch der brennenden Häuser war überall zu sehen und zu riechen2.“

„Die wollen uns da nicht mehr“
Ähnlich muss es auch in dem Ort zugegangen sein, aus dem die Beqiroviqs stammen. „Das Dorf gibt es nicht mehr“, sagt Jupo Beqiroviq, und plötzlich erstarrt das Lächeln in seinem Gesicht: „Alles weg, alles kaputt, da steht nur noch der Friedhof.“ Trotzdem ist die Loyalität gegenüber seinen ehemaligen albanischen Landsleuten noch so groß, dass er niemandem die Schuld daran geben mag. „Ich weiß nicht, wer das war“, sagt er, „ich war ja nicht dabei, als das passiert ist.“ Für Jupo Bequirovic ist allerdings klar, dass er und seine Familie nicht mehr im Kosovo leben können. Auch wenn er es nicht direkt aussprechen will, weiß er doch, warum sein Haus zerstört wurde. „Ich kann nicht zurück“, sagt er, „die wollen uns da nicht. Deshalb ist auch unser Dorf weg!“
Organisationen wie Amnesty International oder die Schweizer Flüchtlingshilfe geben seiner Einschätzung recht und beschreiben die Situation von Ashkali und Roma in Kosovo nach wie vor als desolat. Arbeit und Sozialleistungen gibt es für diese Bevölkerungsgruppen so gut wie nicht. Viele leben in provisorischen Baracken oder gar Zelten innerhalb lagerähnlicher Enklaven und trauen sich aus Angst vor Gewalttaten kaum aus ihren Vierteln heraus. „Verbale Belästigung und Einschüchterung von albanischer Seite gelten als Routinevorkommnisse, die aus Angst vor Vergeltung kaum mehr gemeldet werden“, schreibt die Schweizer Flüchtlingshilfe in einem Bericht.3

Immer in Angst, nachts abgeschoben zu werden
Regierung und Behörden in Deutschland wollen die Flüchtlinge jedoch loswerden. Im Dezember 2002 forderten die Innenminister der Länder die Betroffenen auf, zurückzukehren, da eine freiwillige Rückkehr „grundsätzlich möglich“ sei. In den ersten Jahren nach dem Krieg weigerte sich die UNMIK-Verwaltung in Kosovo zunächst, Abgeschobene aufzunehmen. Im Jahr 2003 vereinbarten UNMIK und deutsches Innenministerium im Rahmen eines sogenannten „Memorandum of Understanding“ dann die „begrenzte zwangsweise Rückführung von Angehörigen bestimmter ethnischer Minderheitengruppen“.5
Seitdem sind auch die Beqiroviqs immer mehr unter Druck geraten, Deutschland zu verlassen. „Die letzte Duldung haben sie nur noch bekommen, damit das Petitions- oder Härtefallverfahren durchgeführt werden kann“, berichtet Matthias Köhler. „Wenn ich an Kosovo denke, werde ich verrückt „, sagt Jupo Beqiroviq: „Wir haben immer Angst gehabt, dass wir vielleicht nachts abgeschoben werden, wir wussten manchmal nicht mehr, ob wir morgen noch da sind.“ Er würde alles tun, um seiner Familie das Leben dort nicht zumuten zu müssen, beteuert er. Seine Ehefrau Miradi redet kaum. Die Ärzte haben bei ihr eine Depression diagnostiziert, außerdem leidet sie unter Lymphkontenvergrößerung.

Ständig in Sorge über die Zukunft
Bei der Familie sei immer ein Hoffen und Bangen zu beobachten, erzählt Matthias Köhler: „Das Ganze letzte Jahr war sehr spannungsgeladen. Man merkt auch Herrn Beqiroviq an, dass er mit den Nerven manchmal ganz schön fertig ist.“ Der Chef stellt fest, dass sein Mitarbeiter dadurch manchmal einen unkonzentrierten Eindruck bei der Arbeit macht. „Ja“, bestätigt Jupo Beqiroviq, „ich bin oft vergesslich und merke selbst, dass meine Gedanken ganz weit weg sind.“ Manchmal spreche er mit meiner Frau, höre aber gar nicht richtig zu, was sie erzähle: „Ich denke dann mal wieder darüber nach, was die Zukunft bringt.“

„So etwas ist unmenschlich“
Am 17. November 2006 haben die Innenminister der Länder auf ihrer Konferenz beschlossen, dass Flüchtlinge, die „faktisch wirtschaftlich und sozial im Bundesgebiet integriert sind“, ein Bleiberecht erhalten sollen. Bedingung ist, dass die Familien seit mindestens sechs Jahren in Deutschland leben und der Lebensunterhalt selbst verdient wird. „Ich hoffe, ich kriege jetzt einen Aufenthalt“, sagt Jupo Beqiroviq, „das ist vielleicht unsere letzte Chance.“ Sein Chef Matthias Köhler teilt diese Hoffnung mit ihm. „Die Leute müssen endlich anfangen können, wieder richtig zu leben“, sagt er. An der Flüchtlingspolitik in Deutschland muss sich seiner Auffassung nach grundsätzlich etwas ändern: „Es kann nicht sein, jemanden zehn Jahre im Wartestand zu lassen.“ Man habe die Beqiroviqs über zehn Jahre gezwungen, eine Pause im Leben einzulegen. Matthias Köhler hebt die Stimme: „So etwas ist unmenschlich, das darf nicht sein!“
1 1 http://www.hilfe-hd.de/kosovo/
2 http://www.hilfe-hd.de/kosovo/koreisen.htm#Progrom%20gegen%20die%20Ashkalia
3 http://www.osar.ch/2005/07/26/kosovo_rae_050725_d
4 http://www.asyl.net/Magazin/Docs/2003/M-3/2849.pdf
5 http://unhcr.de/pdf/231.pdf

Postskriptum
Eine Aufenthaltserlaubnis hat die Familie aufgrund fehlender Pässe trotz der Arbeitsstelle von Jupo Beqiriviq bis März 2007 immer noch nicht erhalten. Ein Pass wurde Jupo von den serbischen Behörden bisher nicht ausgestellt, da alle seine Papiere angeblich im Bürgerkrieg verloren gegangen seien. Somit könne seine Identität nicht nachgewiesen werden. Jupo bemüht sich beim serbischen Konsulat in Hamburg um eine Lösung. Darüber hinaus sind die hier geborenen Kinder nicht bei den Behörden im Herkunftsland der Eltern angemeldet worden. Das muss jetzt nachgeholt werden, damit sie entsprechende Pässe erhalten können, die für eine Aufenthaltserlaubnis erforderlich sind.

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