Reformation – Vom Glauben zum Gutsein

Evangelische Christen in aller Welt feiern am 31. Oktober den Reformationstag, der als Beginn des Protestantismus gilt. Heute genau vor 489 Jahren soll der Augustinermönch Martin Luther seine 95 Thesen an das Portal der Schlosskirche von Wittenberg geschlagen haben. Gleichzeitig versandte er sie in einem Brief an zahlreiche geistliche Würdenträger des Reiches. Luther prangerte darin insbesondere die religiöse Machtanmaßung des Papstes an und wandte sich gegen den damals verbreiteten Ablasshandel der Kirche.

Martin Luther – alles begann mit der persönlichen Heilssuche
Martin Luthers Positionen beruhten zunächst auf seiner persönlichen Heilssuche. In der Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich Gottes Gnade durch eigene Glaubensanstrengungen erringen ließe, stieß er auf eine Bibelstelle im Römerbrief. Dort heißt es in Kapitel 1, Vers 17: „Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zum Glauben, wie es in der Schrift heißt: Der aus Glauben Gerechte wird leben.“ Daraus entwickelte Luther sein vierfaches „allein“, das bis heute als gemeinsamer Nenner der verschiedenen evangelischen Kirchen angesehen wird:

  • „Sola scriptura – allein die Schrift ist die Grundlage des christlichen Glaubens, nicht die Tradition (Galater 2, 6-9)
  • Solus Christus – allein Christus, nicht die Kirche, hat Autorität über Gläubige (Epheser 5, 23-24)
  • Sola gratia – allein durch die Gnade Gottes wird der glaubende Mensch errettet, nicht durch eigenes Tun (Römer 1, 17)
  • Sola fide – allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch gute Werke (Galater 2, 16)“

Luther - 96 Thesen

Gegen Traditionen und päpstliche Machtanmaßung
Damit löste Luther den christlichen Glauben aus seiner Verwurzelung und Verankerung in einer über 1500jährigen kirchlichen Tradition und den in ihr weitergegebenen Erkenntnis- und Erfahrungsquellen und überantwortete ihn dem individuellen Bekenntnis des jeweils einzelnen Christen. Gleichzeitig wies er die Ansprüche des institutionalisierten klerikalen Machtapparates und der von ihm ausgehenden Monopolisierung der Heilzusicherung entschieden zurück.
Die darin implizit zum Ausdruck kommende Kritik an herrschenden Macht- und Klassenverhältnissen wurde Luther bald selbst unheimlich. Dem durch Bauernaufstände in Bedrängnis geratenen Adel riet er, bei der Niederschlagung der Aufstände nicht zimperlich zu sein: „[…] wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern […] man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffendlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

Fürsten für Luther
Auf diese Weise zog er etliche Fürsten auf seine Seite. Deutsche Fürsten und deutscher Adel unterstützen die Reformation nicht zuletzt, um ihre eigenen politischen Machpositionen gegen die Ansprüche der römischen Kurie zu festigen. Erst durch die fürstliche Protektion konnten sich Luthers Positionen verbreiten und schließlich die Reformation auslösen.
Durch seine Bibelübersetzung ins Deutsche hat Luther wesentlich zu der Entwicklung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache beigetragen. Der Buchdruck und damit die Verbreitung des Schrifttums über eine kleine geistliche Elite hinaus, erhielten nun starke Impulse. Durch den Anstoß zur Formung und Verbreitung einer einheitlichen Schriftsprache wurde die Reformation nicht zuletzt zu einer wichtigen Quelle für die Entstehung des Nationalgedankens und des deutschen Nationalismus. Gleichzeitig ist in ihr aber auch der Impuls für die Befreiung des Menschen aus institutionellen und sozialen Machtstrukturen enthalten. Sie ist zu einem der grundlegenden Indikatoren der Moderne – in ihrer gesamten Widersprüchlichkeit – geworden.

Von Gott zur Moral
Auf der theologischen Ebene hat die Reformation den Menschen aus seiner Verankerung in einem Sakramente spendenden spirituellen System herausgelöst und auf radikale Weise in die unmittelbar individuelle Verantwortung vor Gott gestellt. Durch die Aufgabe heilsgeschichtlicher christlicher Traditionslinien konnte sich dabei teilweise die Herausformung moralischer und ethischer Normen gegenüber der Frage nach Gott verselbstständigen. Anders als im Katholizismus wird im Protestantismus der Gedanke abgelehnt, dass die Vernunft und andere direkte Erfahrungsquellen eine Annäherung an Gott ermöglichen. Eine Versöhnung – Rechtfertigung – kann es hier nur durch den reinen Glauben geben. Derart einem individuellen Glaubensakt anheim gestellt, kann aus dem Glauben schließlich eine reine Werthaltung werden, in der spirituell entkernt enthalten ist, was der Protestantismus als Moralkodex vorschreibt. Das protestantische Ideensystem gerät damit natürlich in Widerspruch zu sich selbst: Aus der Rechtfertigung allein durch den Glauben wird die individuelle Rechtfertigung vor sich selbst allein durch das „Werk“, das heißt durch moralisch einwandfreien Lebenswandel und das „Gut-Sein“. Widersprüche bestimmen das Leben; C’est la vie.

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