Am Rande des Wochenmarktes vor der Friedenskirche im Hannoverschen Zooviertel steht ein Typ in bunt bemalten Klamotten und bläst Jazzstandards auf dem Tenorsaxophon. Unter dem Strohhut ragt eine halblange, zerzauste blonde Mähne hervor. Das Motiv eines Jazztrompeters ziert seinen breiten Schlips. Im geöffneten Saxophonkoffer liegt ein Stück Kunstrasen, Marke Blümchenwiese. Kleinere und größere Münzen von freundlich grüßenden Marktbesuchern kullern ins grüne Plastikgras. Hartmut Brandt ist der Name der schillernden Gestalt.
Hartmut Brandt
Kurz vor eins faltet er seinen Rasen zusammen, legt das Saxophon in den Koffer und hilft am Gemüsemarktstand nebenan beim Einpacken der Kartoffeln. Er helfe ein bisschen bei seinem Freund aus, der ihn dafür zweimal in der Woche mit Obst und Gemüse versorge, berichtet Brandt. Markthändler Thomas Bruns und Hartmut Brandt sind seit etwa zwanzig Jahren befreundet. „Hartmut Brandt ist Hartmut Brandt, den kennt man eben, ein richtiges Original“, sagt der Gemüsehändler. Gefällt dem Saxophonisten dieses Etikett überhaupt? „Das ist schon okay“, bekundet Brandt, „schließlich stelle ich mich auch so dar“.
Jazz für „Normalbürger“
Hartmut Brandts Straßenmusik ist immer auch ein PR Auftritt in eigener Sache. Auf einem alten Fahrrad ständig unterwegs in der Stadt, wirbt der 49jährige für die Combo Blue Moon und für seine Bilder, die auf Leinwand oder auf Krawatten zu haben sind. Brandt ist ein schlanker, quirliger und irgendwie zeitloser Typ, dem sein Alter kaum anzusehen ist. Zusammen mit dem Gitarristen Jürgen Winkler bildet er seit 13 Jahren den harten Kern von Blue Moon. „Die Gruppe betrachte ich als mein eigenes Projekt, denn 99 Prozent der Aufträge hole ich herein“, hebt Brandt hervor. „Wir spielen auf Messen, Weinfesten, Ausstellungen und auf privaten Feiern.“ Bei Bedarf ließe sich die Band auch um Schlagzeuger, Bassisten und andere Musiker ergänzen, erklärt der Allround-Künstler. „Wir machen keinen völlig abgefahrenen Jazz, eher Mainstream. Das kann auch der Normalbürger verkraften“, sagt Brandt. Seine Fans und Kunden geben ihm recht. Zu ihnen gehört Gertraude König. Die Frau ist zuständig für Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Klinikums Hannover und holt bildende Künstler zu Ausstellungen in die Cafeterien der Krankenhäuser. „Für unsere Vernissagen engagiere ich gern Blue Moon“, sagt sie, „die Musik eignet sich gut als angenehme Klangkulisse, bei der die Leute sich auch noch unterhalten können“.
Fasane und ältere Damen
Anfang der 80er Jahre griff Brandt das erste Mal zum Saxophon. „Ich wohnte damals mit einem Saxophonisten in Mahlerten bei Nordstemmen zusammen. Als der sich ein neues Instrument kaufte, übernahm ich sein altes“, erinnert er sich. In der Musik ist Brandt Autodidakt. Seine Übungsstunden absolvierte er meist im Grünen. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich einmal an der Elbe versucht habe, die ersten Töne aus dem Saxophon zu holen. In der Nähe saß ein Vogel, vielleicht ein Fasan“, erzählt Brandt. „Der hat die ganze Zeit dazwischen gequäkt“. Wahrscheinlich habe er das als Lockruf missverstanden, vermutet der Musiker. Das Saxophon sei eben ein vielseitiges Instrument. Es eigene sich für Lockrufe und schrille Töne, aber auch für schöne Melodien, sagt er. „In letzter Zeit spiele ich manchmal kirchliche Lieder. Da sind besonders die älteren Damen immer sehr angetan“.
Der Jazzclub als zweites Wohnzimmer
Die Musik prägt auch Hartmut Brandts Malerei. Fast jeden Montagabend sitzt er im Jazzclub Hannover an einem kleinen Tisch direkt an der Bühne, vor sich einen Zeichenblock, eng um sich herum verteilt die Farben und Pinsel. „Der Jazzclub ist so etwas wie mein zweites Wohnzimmer“, berichtet er. Montag für Montag malt Brandt die Musiker. Im künstlerischem Chaos seiner Südstadt-Wohnung stapeln sich inzwischen Hunderte solcher Bilder, die er auf Papier, Leinwand oder Textilien gebracht hat. Daneben finden sich Portraits und Stadtlandschaften, auch etliche hannoversche Motive.
In den achtziger Jahren hat Brandt freie Kunst an der Fachhochschule Hannover studiert. Schon damals habe er gegenständlich gemalt, erklärt er: „Abstrakte Malerei finde ich schwierig, ich brauche feste Anhaltspunkte“. Dabei falle es ihm schwer, sich stilistisch einzuordnen. Vielleicht ließe sich seine Art zu malen als „neue Sachlichkeit“ bezeichnen: „Da kam mal ein Typ, der hat neue Sachlichkeit gesammelt und mir ein Bild abgekauft“, bemerkt er dazu.
Wenn Hartmut Brandt nicht gerade in Sachen Kunst und Musik unterwegs ist, beschäftigt er sich gern mit seinem 7jährigen Sohn Fabian. „Wir gehen zusammen ins Fußballstadion oder malen gemeinsam Bilder. Fabian zeichnet schon unheimlich tolle Sachen, manchmal ist er dabei zielstrebiger als ich“, erzählt Brandt stolz. Auch er habe bereits als Kind sehr viel gemalt.
„Ich muss meinen Weg als Künstler durchziehen“
Nach der Schule machte Brandt dann jedoch zunächst eine Mechanikerlehre. „Das hat mich aber nicht wirklich interessiert“, berichtet er. Deshalb studierte er Sozialpädagogik und arbeitete als Anerkennungspraktikant in einer Einrichtung für Körperbehinderte. „Einen richtigen Zugang zum geregelten Erwerbsleben habe ich jedoch nicht bekommen, dass hat mich nie gereizt“, sagt Brandt. Mit dem tollen Künstlerleben sei das allerdings auch so eine Sache. „Man darf sich nichts vormachen, manchmal ist es nicht leicht“. Mit der Musik verdiene er mehr als mit der Malerei. „Trotzdem wache ich manchmal auf und denke, wie soll ich in den nächsten Wochen nur über die Runden kommen?“ Dann tauchten aber doch immer wieder irgendwelche Jobs auf, fügt er hinzu.
Auch ein „Original“ hat eben manchmal finanzielle Sorgen. Etwas anderes als seine Kunst will er trotzdem nicht machen. „Den Einstieg in einen normalen Beruf gibt es nicht mehr für mich“, sagt Brandt: „Ich habe meinen Weg als freier Künstler gewählt und ziehe das jetzt durch“.
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