Auge in Auge mit dem Urvieh

Keine Angst, der tut nichts: Die 31 Auerochsen-Imitate, die derzeit frei in einem umzäunten Areal mitten im Naturpark Solling weiden, sind harmlos. Auch wenn manche fürchten, sie würden vielleicht den Weidenlaubsänger vertreiben (in taz-nord vom 27.Juli 2005).

Das Urvieh, ein Heckrind
Heckrind

Auge in Auge mit dem Urviech
Keine Angst, der tut nichts: Die 31 Auerochsen-Imitate, die derzeit frei in einem umzäunten Areal mitten im Naturpark Solling weiden, sind harmlos. Auch wenn manche fürchten, sie würden vielleicht den Weidenlaubsänger vertreiben

von Achim Beinsen

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Über morastigen Waldboden geht es einen sachten Hang hinauf. Sonnenstrahlen fallen durch die hohen, lichten Eichenbäume. Wie aus dem Nichts heraus bricht plötzlich eine Herde schwarzbrauner Ungetüme durch das Unterholz. Eines der etwa schulterhohen Tiere stoppt und wendet den Wanderern seine langen und spitz nach vorn gebogenen Hörner zu. Das Viech sieht aus wie eine Mischung aus Kampfstier und asiatischem Wasserbüffel. Es bläht die Nüstern und schließt sich nach kurzem misstrauischen Blick der davon galoppierenden Herde an. Begegnung mit dem Heckrind.

31 der urzeitlich anmutenden Rinder leben derzeit frei in einem umzäunten Areal im Naturpark Solling-Vogler, einem der größten zusammenhängenden Waldgebiete Norddeutschlands, gelegen zwischen Göttingen und Holzminden. „Keine Angst“, sagt der Gebietsförster, der Gruppen über das Gelände führt, „die Urrinder sind friedlich und eher scheu.“ Der Wald ist ihre Weide, sie teilen sie mit einer Herde Exmoorponys. Die Aufgabe: Das Unterholz kurzhalten und dafür sorgen, dass der Wald licht bleibt und nicht zuwächst. Das Ziel: Eine größere Artenvielfalt.

Schon viereinhalb Jahre nach der Ansiedlung ließen sich „immense Erfolge“ nachweisen, so das enthusiastische Fazit von Bernd Gerken, wissenschaftlicher Leiter des deutschlandweit einmaligen Projekts und Professor für Tierökologie an der Fachhochschule Lippe und Höxter. „Wir konnten schon Tausende neue Tier, Insekten-, Pilz- und Pflanzenarten feststellen“, jubelt Gerken, darunter das seltene „Rasige Jungermann-Moos“ oder die Pilz-Rarität „Herzsporiger Tintling“. Der Rinderdung etwa trage zur Ansiedlung von Käferarten bei, die wiederum Dachse und seltene Arten wie die Mausohr-Fledermaus anlockten. 600 der festgestellten Arten stünden auf der roten Liste bedrohter Gattungen. Auch der alte Eichenwald – Heimat für unzählige Tier- und Pflanzenarten – habe dank der Heckrinder eine Chance: Sie fressen die jungen Buchentriebe, die sonst über die Eichen hinauswachsen und sie damit zum Absterben bringen.

Deshalb würden Gerken und seine Mitarbeiter die Waldbeweidung gerne noch auf weitere Flächen ausdehnen. Doch diesem Wunsch erteilt die Eigentümerin des Waldes, die niedersächsische Landesforstverwaltung, eine Absage. „Aus ökonomischer Sicht ist eine Vergrößerung nicht möglich“, sagt Behördensprecher Stefan Fenner. Eine Verkleinerung der Fläche wäre eher im Sinne der Landesforsten. Durch die Einschränkungen der Holzproduktion entstünden erhebliche Ertragsausfälle, begründet Fenner die ablehnende Haltung und kündigt an, dass dem aus Bundes- und Landesmitteln finanzierten Projekt die Flächen nur bis 2012 kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auch hinsichtlich des ökologischen Nutzens ist Fenner skeptisch. „Durch die Waldbeweidung entsteht eine Parklandschaft. Wir bekommen hauptsächlich Moose, Flechten und Mistkäfer.“ Bestimmte Arten hingegen, wie etwa der Weidenlaubsänger, verschwänden aus dem Wald, behauptet er.

„Das ist völlig aus der Luft gegriffen“, widerspricht Projektmitarbeiter Hans Georg Wagner. Der Weidenlaubsänger sei nicht wegen der Rinder verschwunden und darüber hinaus ein häufig vorkommender Gartenbewohner. „Den gibt es unter dem Namen ‚Zilpzalp‘ überall.“ Außerdem hätten die Landesforsten etwa 2.000 Hektar des Sollings gegenüber der EU als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Deshalb sei die Bewirtschaftung des Gebiets wegen der Umweltschutzauflagen ohnehin schon eingeschränkt. „Die Nutzung ist wohl nicht in dem Ausmaß möglich, wie sich das einige Mitarbeiter in der Forstverwaltung vorstellten“, stichelt Wagner und erinnert daran, dass die natürliche Auslichtung durch die Beweidung eine Arbeitsersparnis sei. „Gäbe es die Wildrinder nicht, müssten das die Landesforsten selbst machen.“

Anfragen für Führungen durch das Hutewaldprojekt: naturpark-solling-vogler@t-online.de, 0 55 36 / 13 13. Heckrindfleisch servieren (allerdings nicht täglich!): Hotel Otto, Bodenfelde, 0 55 72 / 71 31; Landhotel Rothenberg, Uslar 0 55 73 / 95 9-0

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